Eine Szene aus dem Theaterkonzert "Mythen der Freiheit" mit Mirka Pigulla, Dan le Tard, Philippe Goos und Nico Lai.

Verwirrende Freiheit

Theaterkonzert mit Rainer von Vielen: Mythen der Freiheit

Theater:Staatstheater Hannover, Premiere:06.07.2012 (UA)Regie:Florian Fiedler

Im Namen der Freiheit: Schafft die Freiheit ab! Das fordert Florian Fiedler in seinem neuen Versuch, Theater aus dem Geist des Happenings wieder fit zu machen als zeitgemäßes Kommunikationsmedium. Schließlich gäbe es nur zwei Wahrheiten, so lässt er behaupten, beide befeuern oben erwähnte Forderung: „Die Freiheit der Finanzmärkte ist Mist“, muss also weg, und individuelle Freiheit sei sowieso eine Lüge, kann als Idee also auch weg. Wenn, so viel Philosophie muss zur Erklärung sein, Freiheit die Möglichkeit ist, immer das zu tun, was ich will, dann ist diese Freiheit tatsächlich keine, denn sie ist ja abhängig, wird von einem Bedürfnis befördert, vom Lustprinzip bestimmt. Könnte es nicht vielmehr so sein, dass uns die Psyche, Medien, Werbung, Politiker, Eltern etc. vorgaukeln, das zu wollen, was wir tun?

Jedenfalls haben Florian Fiedler, einige Schauspieler und die Band „Rainer von Vielen“ erstmal eine Kirche gegründet, um die „Mythen der Freiheit“ zu exorzieren und wahre Freiheit zu predigen: freiwillig Verantwortung zu übernehmen, sich selbst Grenzen zu setzen. In gedanklicher Ferne sollen auch die Mythen einer solidarischen Gesellschaft morgenrötlich aufleuchten … klingt jetzt arg nach Theorietheater, ist aber ein Theaterkonzert zum Mitmachen. Das Allgäuer Quartett präsentiert straighten Mitwipprock mit Folkverweisen und popsüßen Mitsumm-Refrains. Der Sänger rappt auch mal herzig, feiert ein Jodelsolo, pflegt kehlig knatternden Obertongesang und melodisiert immer deutlich, was gesagt werden soll. Also Lyrics wie „Nicht alles was man kann, muss man“, „Empört euch! Denn diese Welt gehört euch!“ oder „Wir wollen alle nur geliebt werden, es könnte so einfach sein“. Dazu verschenken die Darsteller ihre Körperlichkeit in Form echter Umarmungen ans Publikum. Zwischen den Songs wird in farcenhaft überdrehtem Spiel eine Messe gefeiert: Liturgie als Trashrevue. Ein Priester beschwört den Gott Antifreist („Gib uns Zwang und beschränke uns“), der Epiphanie folgen Sketche wider den positiv besetzten Freiheitsbegriff und dessen Missbrauch. Auch die Musiker spielen mal so beispielhaft frei vor sich hin, nur schrecklicher Lärm entsteht, nicht herrlicher Free Jazz, zu dem eben die Unfreiheit gehört, aufeinander hören, eingehen zu müssen. Ebenfalls lehrreich: Eine Zuschauerin wird auf den Bühnenlaufsteg gelockt und aufgefordert: „Tue jetzt mal 15 Minuten lang, was du willst!“ Ergebnis: Ratlosigkeit, Überforderung durch die Last aller Möglichkeiten. Diese Spielchen und die Konzert-Atmosphäre sind Ausdruck des unbedingten Wunsches, auf juxig lockere Art Gemeinschaft mit dem Publikum herzustellen, es vom Objekt der Performance zum Subjekt der Erkenntnis zu machen: „Tanz deine Revolution!“

Die Produktion ist Fortsetzung von Fiedlers letztem Dokumentartheaterprojekt: Auf dem Hannoveraner Ballhof wurde 2010 die „Republik Freies Wendland“, ein Hüttendorf gegen Atomenergie, mit Jugendlichen neu erbaut – als theatrale Spielwiese und Denkraum für Lebenswürfe. Damals waren Aktivisten der Gorleben-Demos und Castor-Proteste zu Gast, nun bedankte sich das Staatstheater im widerständigen Wendland mit dem Uraufführungsbesuch. Gastiert wurde in der 300 Quadratmeter großen Scheune des Herrenhofes Salderatzen, ein denkmalgeschütztes, abgeschiedenes Areal: prima geeignet auch für die von Fiedler so gewünschten Diskussionen des heimischen und aus Hannover angereisten Publikums. Er ist beseelt von der Idee, dass Bühnekunst die bessere Demo sein kann. Vielleicht funktioniert politisches Theater heute tatsächlich genau so – Setting aus Elementen der Popkultur und Darsteller als Publikumsanimateure, die mit Spielformen der Polemik so leidenschaftlich komisch wie lässig provokant dazu mitreißen, sich positionieren zu wollen, also nachzudenken: krasser Mehrwert einer schrillen Party theatrale.