Foto: Faust experimentiert am Theater Aalen © Peter Schlipf
Text:Manfred Jahnke, am 16. Oktober 2017
Es dauert eine ganze Weile, bis dieser Faust auftritt. Man hört seine schweren Schritte und den rhythmischen Aufschlag eines Stocks. Dann ist er da in weißem Hosenanzug und roten Ledermantel (Kostüme: Stefanie Frey). Faust ist eine Sie, die zunächst einmal stolz den Raum inspiziert, die einem Industrieroboter Aug in Aug gegenübersteht, der ihr spiegelbildlich folgt. Dieser bekommt durchaus auch etwas „Lebendiges“, wenn zwei kleine Lampen wie Augen glühen. Zweifelsohne steht hier der Meister stolz seinem Werk gegenüber. Da aber die Maschine nur reproduzieren kann, was ihr eingegeben wurde, beginnt Faust sich relativ schnell zu langweilen. Kristine Walther spielt diese Situation groß aus, spricht die folgenden Monologe – „Habe nun, ach! Philosophie“ – im neutralen Nebenbei, bis dann doch – eine Spur zu pathetisch – Verzweiflung sich in den Sprechgestus mischt. Ein zweiter Roboter, eine Art verspiegelter Kasten mit aufmontierter Videokamera, hält einen Kasten mit einer Giftspritze für Faust bereit.
Bevor er aber diese wirklich abdrücken kann, verwandeln sich die Monologe in ein Zwiegespräch mit Mephisto und Faust lässt sich in die Welt des Konsums verführen, die dann auch schon bald wieder schal wird. Timlin findet dafür ein schönes Bild: während Faust sein (Video-)Bildnis in den knallig-farbenen Kästen auf der linken Bühnenseite bewundert, wird auf der anderen Seite der Bühne der Plastikvorhang immer länger. Dieser kreist Faust so ein, dass er gefangen ist, was er aber ganz apathisch hinnimmt: es scheint keinen Ausweg mehr zu geben. Aber plötzlich ist da ein anderes Wesen, barfuß und in einem langen braunen Kleid, der Farbe der Mutter Erde. Giorgio Convertito beginnt seine Werbung mit harmonischen Körperbewegungen, vor allem zunächst mit den Händen, bevor er sich in einen immer schnelleren Schrittfolgen das Gefängnis von Faust umtanzt und schließlich die Plastikbahnen herunterreißt. Frau Faust zieht ihre weißen Turnschuhe aus, sie folgt ihm und entdeckt dabei ihren Raum ganz neu. Dabei entfernen sie beim Roboterkasten die Spiegelwände, wobei sich dieser in eine Art Terrarium, bepflanzt mit hohen Gräsern, verwandelt. So entdeckt dieser Faust seine Lebensfreude wieder.
Timlin/Kleinknecht stellen in „Das Faustexperiment“ Faust in eine gegenwärtige Welt, die von Langeweile und Identitätsverlust geprägt wird. Leitmotivisch funktioniert dabei der Satz: „Zum Augenblick dürft` ich sagen:/Verweile doch, du bist so schön!“ Aber es gelingt ihm nicht, den Augenblick festzuhalten, wenn auch am Ende die Sehnsucht nach der Einheit mit der Natur, aber einer Natur im Glaskasten, verwirklicht erscheint. So wird die Welt zwar zur Schöpfung des Faust, aber eben nur als Spiegelbild seiner Projektionen. Timlin/Kleinknecht zeigen das sowohl im Zusammenspiel von Licht und Klängen, Videoprojektionen (Marek Pluciennik), als auch in den Interaktionen zwischen Mensch und Roboter in nachdrücklichen Bildern. Die Roboter wurden von Andreas Stelzer und Markus Knödler unter der Anleitung von Professor Ulrich Klauck in einer Koproduktion mit der Hochschule Aalen gebaut.