Die "Dreigroschenoper" am Theater Baden-Baden

Vergnügliche Ohrwürmer

Bertolt Brecht, Kurt Weill: Die Dreigroschenoper

Theater:Theater Baden-Baden, Premiere:25.09.2015Regie:Thomas HöhneMusikalische Leitung:Hans-Georg Wilhelm

„Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Intendantin Nicola May nennt das Brecht-Zitat im Programmheft eine „provokante Frage“, die sie gewissermaßen über die gesamte Spielzeit ihres Hauses stellt. Doch als der Satz von Mackie Messer im gediegenen Lüster- und Goldbrokat-Ambiente des Baden-Badener Theaters tatsächlich ausgesprochen wird, rührt sich keine zustimmende Hand zum Sonderapplaus, wie das noch vor wenigen Jahren überall der Fall war, wenn Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ gespielt wurde. Das soignierte Kurstadt-Publikum interessiert sich kaum noch für Brechts Kapitalismuskritik. Dennoch ist die Premiere ausverkauft, die Dialektik des Brecht-Weill-Stückes, das Ganoven zu Unternehmern und Unternehmer zu Ganoven macht, also Realität abbildet, erheitert allenfalls. Reizvoll dagegen sind jene Aspekte der Bettler-Oper, die malerisch-musikantisch als exotische Folklore erscheinen. Und in dieser Hinsicht offeriert Thomas Höhnes Inszenierung für Baden-Baden allerhand.

Das schummrige Bühnenbild (Steven Koop) bietet einen auf die Rückwand gemalten, mit bösen Augen stechenden „Dummen-August“- und Katzen-Kopf, dessen aufgerissenes Maul nicht mehr mit messerscharfen Haifischzähnen ausgestattet ist, wie die einleitende berühmte „Moritat von Mackie Messer“ suggeriert, sondern einem hölzernen Nussknacker gleicht. Zwei drehbare Requisiten-Elemente rechts und links dienen mal als Peachums „Bettlers Freund“-Ladengeschäft, mal als „Pussy Pier“-Kneipe oder Soho-Bordell der Huren, mal auch als „Mädchenzimmer“ für das „Eifersuchts“-Duett der Mackie -Bräute in Old Baily. Der Kerkerkäfig, in dem Macheath (von den Huren verraten) endet, schwebt bei Bedarf vom Bühnenhimmel herab. Die konventionellen, zeit- oder standesgemäßen Kostüme (Ilona Lenk) erinnern an Idole: Mackie beispielsweise in Hut, Glacee-Handschuhen und schwarzgrau changierendem Anzug an Popstar Udo Lindenberg, Polizeichef Brown in ordensbehängter Uniform an Libyens lächerlichen Diktator Gaddafi, Jenny wasserstoff-blond in Huren-Gestrapse an eine billige Kopie von Marilyn Monroe.

Abgesehen von der zu dissonant ausgeführten Ouvertüre spielen acht einschlägige Musikanten unter Hans-Georg Wilhelms Leitung die Kurt Weill-Ohrwürmer mit punktgenauen Akzenten schräg und schwungvoll herunter und sind besonders gut, wenn die mit einer etwas zu schrillen Flüstertüte angekündigten Songs (auch solistisch) begleitet werden. Macheath, genannt Mackie Messer (Niko-laj Alexander Brucker), präsentiert seine Liedeinlagen mit opernhafter Stimmopulenz und wirkt ansonsten mit seinen Sonnyboy-Gesichtszügen aalglatt. Polly (Anne Leßmeister) singt in der Hochzeits-Szene im weißen Tüll-Brautkleid ihre Seeräuber-Jenny-Ballade anfangs babydoll-süß und endet bitterböse. Bebende Liebesleidenschaft bestimmt die Mitteilung ihrer Heirat an das bestürzte Elternpaar, das Eifersuchtsduett mit Lucy (Constanze Weinig) zeigt sie mitreißend erregt als „Schön-heit von Soho“. Pollys versoffene Mutter Celia (Birgit Bücker) verleiht in abgründig-rauem Parlan-do-Stil ihrer „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ eine Verworfenheit, der man nicht entkommen kann. Bettlerkönig Peachum (Sebastian Mirow) kommt meistens klamaukig daher, sein Vortrag des Liedes „Von der Unzulänglichkeit“ ist aber sinnfällig pointiert. Mackies Banditen stottern wie Sägerobert (Patrick Schadenberg), sind anrührend tüttelig wie Hakenfingerjakob (Rainer Haring), der seinen Kollegen Artikulierungshilfen gewährt, oder geben wie Münzmatthias (Max Ruhbaum) verbales Rülpsen von sich.

Die Inszenierung wirkt insgesamt einen Tick zu chargenhaft, was sich besonders in den Figuren des Mafiosi-Polizisten Brown (Oliver Jacobs), des Pastor Kimball (Rosalinde Renn) und der Spelunken-Jenny (Nadine Kettler) zeigt. Die Galgen-Szene wird ausgespielt und Mackie auf offener Bühne gehängt, was Entsetzensrufe einiger Damen auslöst. Umso nachhaltiger – alle Protagonisten werden auf ihre Ausgangsstellungen zurückversetzt – dann in der finalen Wiederholung dieser Szene der Auftritt des reitenden Boten, der anlässlich des Krönungsfestes den märchenhaften Amnestie-Befehl der Königin verkündet. So gerät der Theaterabend zu einem uneingeschränkten Vergnügen.