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Vergangen sind sieben Jahr…

Zum Augenblicke sagen: Verweile doch!

Theater:Lindenoper, Premiere:03.10.2017Autor(in) der Vorlage:Robert Schumann/Johann Wolfgang von GoetheRegie:Jürgen FlimmMusikalische Leitung:Daniel Barenboim

Ein wunderbar klingender Raum, viel Prominenz und leider wenig Musiktheater zur Eröffnung der sanierten Staatsoper Unter den Linden

Hätte man im vorigen Jahr eröffnet, dann wäre immerhin eine „Fidelio“-Inszenierung von Harry Kupfer zur Hand gewesen. Vor zwei Jahren gar die „Meistersinger“ von Andrea Moses. Also „richtige“, staatsaktkompatible Eröffnungsopern. Es hat aber sieben Jahre gedauert, bis die Staatsoper unter den Linden in Berlin wieder in ihr angestammtes Haus ziehen konnte. Halbwegs jedenfalls. Das Exil  im Schillertheater sollte nur drei Jahre dauern. Aber jetzt ist es auf die gesamten Intendantenjahre von Jürgen Filmm in Berlin hinausgelaufen. Dass der Kraftakt mit vierhundert Millionen das Doppelte der ursprünglich veranschlagten Summe gekostet hat, versteht sich in Berlin fast von selbst. Der Bund hatte seinen Zuschuss vorsichtshalber gedeckelt.

Die 1955 nach der Zerstörung wiedereröffnete DDR-Variante der Knobelsdorffschen Opernschmuckschatulle von 1743 ist jetzt auf technischem Höchststand. Sagt man. Erweisen wird sich das aber erst ab Ende des Jahres, wenn unter den Linden, nach der erneuten Schließung, dann wirklich der Dauerbetrieb aufgenommen wird. Dass sie optisch auf Hochglanz poliert wurde, erfreut aber schon jetzt das Auge des Betrachters. Akustisch sind die Sekundenbruchteile mehr Nachhallzeit, die mit 1,6 statt vorher 1,1 vermeldet werden, tatsächlich zu hören. Deutlich sogar. Ebenso wie man sieht, dass dafür die Saaldecke um mehr als vier Meter angehoben wurde. Dieser Eingriff wurde nicht wegretuschiert, sondern ist dank der netzartigen Wandstruktur zu sehen. Stört aber nicht. Man hat einen vertrauten Raum fast wie neu, also alt, zurück. Und er hört sich viel besser an, als man ihn in Erinnerung hatte. Das sind die beiden entscheidenden Nachrichten zur Eröffnung am Nationalfeiertag mit den Spitzen des Staates im ersten Rang.

In den kurzen Reden von Bundespräsident, Regierendem Bürgermeister und Kulturstaatsministerin fiel – sicher zu Recht – besonders häufig der Name von Daniel Barenboim. Wenn Berliner Bauplanung im Flughafenstil und Bürokratie zusammentreffen, braucht es einen so unermüdlichen Dauermahner, den man nicht so einfach ignorieren kann, wie den Chef der Staatskapelle „auf Lebenszeit“. Und man hat ihn ja. Und behält ihn auch, wenn Jürgen Flimm (76) endgültig an seinen Nachfolger und Co-Intendanten Matthias Schulz (40) übergibt. Den Posten auf dem roten Teppich hat der schon mal geprobt. Die Promi-Dichte war für Berliner Opernverhältnisse hoch. Wer sich den Blick vom Parkett in den Rang gönnte (die Berliner sind da ungeniert), der hatte sein Vergnügen. Und nach der Pause genügend Zeit, darüber nachzudenken, wo manch einer der Herren da wohl abgeblieben war. Was auf der Bühne passierte, hatte allerdings auch nicht mehr Unterhaltungswert. 

Nachdem Jürgen Flimm die naheliegenden Eröffnungsstücke ausgegangen waren und aus der ambitionierten Idee einer Opernnovität von Wolfgang Rihm nach einem Botho Strauss-Text wegen der Erkrankung des Komponisten leider nichts wurde, griff Flimm zu einer Notlösung aus Klassik und Romantik: Goethe und Schumann. Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ und „Fausts Verklärung“. Dazu: ein bisschen originaler Faust. Mit André Jung als Faust und Sven-Eric Bechtolf als Mephistopheles zwar prominent bestückt, aber leider vom Regisseur Flimm zu einem „Jedermann“-Modus alten Stils verdonnert. Meike Droste als Gretchen überzeugte da mehr. Die Lindenoper-Legende Anna Tomowa-Sintow als Sprecherin der Zueignung war eine Referenz an die Geschichte des Hauses. Natürlich ist René Pape vokaler Mephisto-Luxus (mit Freude am Spiel), Roman Trekel mit seinem liedhaften Zugang ein passender junger Faust und die junge Elsa Dreisig ein anrührend singendes Gretchen. Selbstverständlich machen Katharina Kammerloher (als Marthe, Sorge und Mater Gloriosa), Evelin Novak, Adriana Queiroz und Natalia Skrycka (als Not, Mangel und Schuld) sowie Stephan Rügamer (Ariel und Pater Ecstaticus) und Gyula Orendt (Pater Seraphicus) so wie der bestens aufgelegte Staatsopernchor und der Kinderchor (Einstudierung Martin Wright) ihre Sache festtagsgut. Der Chor konnte in einer von den Rängen gesungenen Passage sogar magisch klangzaubern. Und für die Staatskapelle ist der Schumann natürlich eine noble Inbesitznahme des Hauses.   

Das Problem: das ausgewählte Eröffnungsstück hat zwar die prominenteste Vorlage, die sich in Deutschland finden lässt. Aber Schumann ist nur in seiner „Genoveva“ ein bühnentaugliches Werk gelungen. Die Faustszenen sind es definitiv nicht. Sie ziehen sich arg. Da helfen weder Mimenprominenz noch Goethe selbst und erst recht nicht der Beitrag von Markus Lüpertz etwas. Der hat sich mit zwei Riesenfiguren und einer bunten Bühne auf der Bühne vor allem selbst als Malerfürst  in Szene gesetzt. Was kein Vorwurf ist. Hier ging es ja diesmal eh mehr ums Als Ob, um den besagten Augenblick…

Es sind lange dreieinhalb Stunden, in denen man immerhin den neuen Raumklang des Hauses genießen kann. Der Rest dann demnächst in diesem Theater.