Ian Sidden (Il re dell'Egitto) steht an der Rehling des Kreuzfahrtschiffs Aida und blickt beunruhigt auf das Meer hinaus. Neben ihm stehen zwei Statisten.

Selenskyj liebt Putins Tochter

Giuseppe Verdi: Aida

Theater:Staatstheater Kassel, Premiere:31.10.2025Regie:Florian LutzMusikalische Leitung:Ainārs RubiķisKomponist(in):Giuseppe Verdi

Regisseur und Intendant Florian Lutz inszeniert am Staatstheater Kassel Verdis „Aida“ als All-inclusive-Kreuzfahrtschiffsreise durch die Gewässer der Weltpolitik. Die Oper überzeugt mit großartiger Musik und Unterhaltung, verliert sich aber stellenweise etwas in ihren Anspielungen.

Wer „Aida“ in die Suchmaschine eingibt, der bekommt als Treffer nicht die Oper, sondern ein Kreuzfahrtschiff. So geht’s auch auf der Bühne in Kassel auf Schiffsreise. Rote Liegestühle auf dem Sonnendeck, fein gedeckte Tische im Restaurant, exklusive goldene Kabinen. Als Gast geht die hohe Politik an Bord. Denn was bei Verdi der ägyptische Hof ist, wird in Kassel die westliche Allianz: Heerführer Radamés (Gabriele Mangione) trägt den typischen Tarn-Look von Wolodymyr Selenskyj, Priester Ramfis (Sebastian Pilgrim) wird zu Donald Trump mit Perücke, blauem Anzug und der unausweichlichen roten Krawatte. An seiner Seite die Priesterin (Daniela Vega) Ursula von der Leyen und der ägyptische König (Ian Sidden) Frank-Walter Steinmeier. Hört sich klamaukig an? Ist es auch etwas. Funktioniert trotzdem. Denn Regisseur und Intendant Florian Lutz holt Aida damit ohne Umwege in die Gegenwart.

Heute wie damals bleiben die Themen Nationalismus, Krieg und der verzweifelte Wunsch nach Frieden. Diesen Wunsch verkörpert Aida (grandios: Ilaria Alida Quilico). Sie ist zerrissen zwischen der Liebe zum gegnerischen Radamés und ihrer Heimat Äthiopien. In Kassel wird daraus Russland. Aidas Vater Amonasro (Filippo Bettoschi) ist der personifizierte Putin auf hohem Ross mit nacktem Oberkörper. Auf allen künstlerischen Ebenen werden Verbindungen gezogen: Der Chor singt „Schützen wir unsere Grenzen“. Dazu werden auf Großbild-Leinwänden Filme von Militäreinsätzen eingeblendet und von in Seenot geratenen Flüchtlingsbooten. Außerdem Nachrichten mit Schlagzeilen wie „Deutschlands Sicherheit wird auch am Horn von Afrika geschützt“. Nationalismus und Machtstreben wie in der Entstehungszeit der Oper (1869 bis 1871), die Verdi damals schon in Aida verarbeitet hat.

Neue Spielstätte, neue Möglichkeiten

Die Oper ist die erste Inszenierung in Kassels neuem Theater auf Zeit, dem Interim. Es wird genutzt, bis das bestehende Opernhaus saniert worden ist. Eine riesige hohe Halle ohne feste Bestuhlung oder Bühne. Eine Herausforderung für die Akustik, die bei der Premiere gut bewältigt wird. Das Staatsorchester (Leitung: Ainārs Rubiķis) überzeugt in den leisen, feinen Passagen genau wie in den wuchtigen, wie der bekannten Chorhymne „Gloria all’Egitto, ad Iside“, auf die der berühmte Triumphmarsch folgt. Gleichzeitig können die Solisten brillieren. Nur zu Beginn gibt es ein kurzes Ungleichgewicht.

Intendant Lutz zeigt mit seiner Inszenierung, was alles möglich ist im Interim. Schon beim Hineingehen wird das Publikum gewarnt: „Achtung! Tribüne dreht sich während der Vorstellung.“ Von den Plätzen aus geht der Blick über den Orchestergraben in Richtung des großen Geschehens. Später wird das Publikum um 180 Grad gedreht und es schaut auf eine intime Kabine im Oberdeck, wo Aida einfühlsam und kraftvoll ihre berühmte Arie „Oh patria mia“ singt. Das Orchester klingt dabei von hinten in die Ohren und schafft trotzdem einen wunderbaren Zusammenklang. So wird immer wieder mit den Richtungen gespielt: Die Bässe des Chors stehen zum Beispiel hoch oben auf dem Gerüst, das die Bühne umläuft. Dort rufen sie nach Vergeltung. Der Rest des Chors fleht unten um Gnade für die Gefangenen.

Zu viel des Guten?

Das alles ist aufregend neu und oft stimmig. Manchmal wirkt die Inszenierung allerdings überfrachtet. Vor allem gegen Ende, wenn auch noch „Stadtbild säubern“ auf dem Banner steht, die bayerische Fahne auf dem Mond gehisst wird und Alice Weidel mit Putin in den Sonnenuntergang reitet. Da ist es erleichternd, wenn es für die letzte Szene im Interim dunkel wird, Aida und Radamés eingemauert in ihrem gemeinsamen Grab singen und Aidas Liebesrivalin Amneris (hervorragend: Emanuela Pascu) leise um Frieden ruft. In diesem Moment liegt der Fokus ganz auf der Musik, die Dirigent Ainārs Rubiķis in ihrer ganzen filigranen Schönheit entfaltet.

Fazit: Wer in Kassel mit der Aida auf Kreuzfahrt geht, dem wird bestimmt nicht langweilig. Das Bord-Fernsehen sendet immer. Die Zuschauertribüne wackelt bei schwerem Seegang und wer will, kann sogar einen „Adventure-Seat“ buchen. Da sitzen die Zuschauer im roten Liegestuhl auf der Bühne und bekommen mit etwas Glück von Aida einen Cocktail serviert. Das Musikprogramm an Bord (Solisten, Chor und Orchester) ist erstklassig. Das Unterhaltungsprogramm spannend, aber leicht überfrachtet. Ein Opern-Spektakel wie eine All-inclusive-Reise, die im Untergang endet.