Szene aus "Toda" am Staatstheater Hannover

Utopie im Riverdance-Sound

Nadav Zelner: Toda

Theater:Staatstheater Hannover, Premiere:25.09.2021 (UA)Regie:Nadav ZelnerMusikalische Leitung:Valtteri Rauhalammi

Jeder Tänzer, jede Tänzerin – ein choreografisches Wimmelbild. Es ist kaum zu beschreiben, wie viele Bewegungen die Tanzenden in Nadav Zelners neuem Stück „Toda“ an der Staatsoper Hannover im Laufe ihrer minutenkurzen Auftritte hinlegen. Abgehackt wie im Stroboskoprhythmus, aber unaufhörlich weiterflutend scheinen sie kleine Geschichten oder gar Biografien anzudeuten. Das springt und wackelt, beugt und dreht sich, lässt alle Gliedmaßen ausschütteln und sekundenschnell den ganzen Körper in gekrümmte Haltungen mit angewinkelten Armen und abgeknickten Händen fallen wie ein Häschen.

Tatsächlich wirken die Tanzenden in orange-beige verlaufenden Trikots nicht wie Menschen, eher wie futuristische Fabelwesen jenseits aller Geschlechtlichkeit. Die wird durch Zöpfchen und alberne Applikationen verschliffen, die wie glitzernde Rüschenbordüren die Beine entlanglaufen oder sich vulvamäßig um ein männliches Suspensorium ranken, bei einer Tänzerin wie eine Gardine davor schließen. Was Modeschöpfer Maor Zabar da entworfen hat, wirkt oft echt peinlich. Göttlich jedenfalls nicht (und auch nicht keltisch wie die Musik).

Götter suchen nach Lebenssinn

Das aber soll laut Dramaturgie die Ausgangssituation von Zelners Einstünder sein, dessen Titel „Toda“ auf Hebräisch „Danke“, aber als „Toda-a“ auch „Bewusstsein“ heißen kann. Fremde Götter, die über unendliche Fähigkeiten verfügen, begeben sich auf die Suche nach Lebenssinn, entdecken dabei die Kraft der Gemeinschaft und sagen dafür Danke. So die Inhaltsangabe. Wer denkt sich so was aus? Götter, die Lebenssinn suchen?

Na ja, am Ende sind sowieso wir Menschen gemeint. Also halten wir uns mit der Frage des Göttlichen nicht auf. Die Gebrauchsanweisung wird ja auch zur Ouvertüre – einem weichgespülten New-Age-Gestreichel namens „The Love of God“ – eingeblendet: Man möge sich doch bitte hineinnehmen lassen in diese Suche und seine eigenen Stärken und Möglichkeiten entdecken.

Nun rechnet Zelner aber offenbar nur mit dem Guten, und das macht den Abend so realitätsfern und bei aller Bewegtheit letztlich einförmig und künstlerisch langweilig: Schon die Götter mit ihren unbegrenzten Fähigkeiten kennen bei ihm offenbar keine Konkurrenz, keinen Machtwillen und kein sexuelles Begehren (die Geschlechter hat er ja kostümlich eliminiert). Ein wesentlicher Antrieb aller Mythen fällt so dahin. Was aber bleibt von all den großen Weltschöpfungserzählungen, was auch von ihrer Anwendbarkeit auf die Menschen, die sich darin spiegeln, dann übrig? Das Ringen um den rechten Weg, Liebe und Abgrenzung, auch die Schuld und der Versuch der Sühne machen doch das Leben aus.

Tänzerisches Wimmelbild

In Zelners Ferienparadies aber herrscht immer Freude und Harmonie. Choreografisch kann man die Wimmelbild-Dichte der Bewegungen am Anfang sicher als Ausdruck der unendlichen Fähigkeiten sehen. Aber unterscheidet sich der Sucher davon? Und tanzen sie nicht schon immer irgendwie Gemeinschaft, indem sie sich als meist synchrone Gruppen im Accelerando ablösen?

Aber suchen wir mit. Die Gruppe kann sich mit Schreien und Grimassen ins Ausgelassene (nie Aggressive) steigern. Der Sucher muss also keine Gefahren fürchten, erlebt keine Ablehnung. Alles ist ein fröhliches Ausprobieren. Er küsst sie kurz. Sie reitet auf ihm und er schleudert sie am langen Arm über den Boden. Emotionen entfaltet das bei ihnen und uns nicht und wir sollen ja auch vom Geschlechtlichen absehen. Zelners Gemeinschaft ist größer gedacht, geht auch über die eher kerligen Turnspiele, bei denen Tänzer einen Kollegen über sich schleudern, und über zwei sich kitzelnde Frauen hinaus: Einer nach dem anderen stürzt sich nun in den Orchestergraben. Das sieht aus wie bei den Lemmingen, soll aber wohl eher das in der Inhaltsangabe erwähnte Vertrauen in sich selbst, in das man sich fallen lassen kann, zeigen.

Jedenfalls sind anschließend alle wieder da, üben nun das Sich-gemeinsam-Fallenlassen und Wieder- Aufstehen als Gruppe auf dem Bühnenboden, zischen und klatschen im Takt keltischer Riverdance-Musik, bilden im Grätschsitz eine lange Reihe, in der sich nun jeder hinlegend in den anderen schmiegen kann. Als sich nachher Paare bilden, rück- und vorwärts, erinnert das an die Mischwesen aus Platons Drei-Geschlechter-Theorie – immerhin. Und dann tanzen sie wieder als synchrone Wimmelbilder im Accelerando und schließen mit einer Reverenz-Geste als Dank.

Auch als Utopie zu simpel

Das hat alles einen starken Drive, dafür steht diese hier mehrfach genutzte, von Staatsorchester und Celtic Band live gespielte Musik auch. Tänzerisch ist es grandios und verblüfft oft in der Fixigkeit der Bewegungswechsel. Insofern offenbart Zelner ein ungeheures choreografisches Potenzial, bleibt dann allerdings auch wieder zu unspezifisch.

Wenn immer alles möglich ist, verlieren sich Individualität und Notwendigkeit. Das aber ist verknüpft mit seiner einfältigen Dramaturgie. Selbst Märchen kennen Gefahr, Konflikt und Bewährung. „Toda“ aber ist noch als Utopie zu simpel gestrickt, da die Sinnsuche hier ohne Widerstände verläuft und der Widerspruch zwischen dem gefundenen Vertrauen in sich und in die Gemeinschaft einfach ausgeblendet wird. Den auszuhalten ist vielleicht sogar der Grundkonflikt des Menschseins. Ihn zu leugnen ist unwahr; die Menschen darin zu bestärken, trotzdem an einer liebevollen Gemeinschaft mitzuwirken, wäre die Kunst.