Nikolaus Lenau wurde einst von Mendelssohn, Liszt und Schumann geschätzt und vertont. Ist das für den Schweizer Komponisten Heinz Holliger Grund genug, sich dem Dichter ebenfalls zu widmen? Eine solche Erklärung würde, obwohl man von Holligers Vorliebe vor allem für Schumann weiß, gewiss zu kurz greifen. Doch tatsächlich sucht Holligers nun am Opernhaus Zürich uraufgeführtes Musiktheaterwerk „Lunea“, das den Untertitel „Lenau-Szenen in 23 Blättern“ trägt und konzeptionell auf einen vor fünf Jahren entstandenen Zyklus mit eigenen Lenau-Vertonungen zurückgeht, auf den Spuren der großen Romantiker zu wandeln und Potenziale romantischer Erfahrung in die Gegenwart zu transformieren. Sein Freund Pierre Boulez hat ihn einst als „Erzromantiker“ etikettiert. Und Holliger erwähnt das sogar gern. Weiß er doch, dass seine hochexpressive Musik ebenso wenig mit billiger Neoromantik, Nostalgie oder Sentimentalität zu tun hat wie die dramaturgischen Grundkonstellationen seiner Werke.
Für „Lunea“, von Holliger in Zusammenarbeit mit dem opernerfahrenen österreichischen Dichter Händl Klaus konzipiert, gilt das allemal. Denn diese zweite Oper des Komponisten kreist um Reflexionen und Erlebnisse einer vielfältig begabten Künstlerpersönlichkeit, die ein sehr modernes Leben führte – bevor sie die letzten ihrer nur 48 Lebensjahre in der Irrenanstalt verbrachte. Holliger, der sich nach eigenem Bekunden vor allem für Künstlerpersönlichkeiten interessiert, die „innerlich zerschnitten“ sind, geht es darum, dieses Schicksal Lenaus bewusst zu machen. Nicht minder freilich geht es ihm um die die Qualität und Nachdrücklichkeit von dessen Lyrik. Die bewusst sprunghafte Szenenfolge, die weit jenseits einer linearen Handlung ein Kaleidoskop stets nur aufblitzender Erfahrungsmomente und dichterisch formulierter Visionen enthält, gewährt mit alledem einen Blick auf die abgründige, enigmatische Seite der Romantik. Diese ist zum Bersten voll mit existentiellen Erlebnissen, die keineswegs zeitgebunden sind. Sie kreisen vor allem um Momente von schwindendem Glück sowie von Liebe, Freundschaft und Sehnsucht – zwischendurch freilich auch ganz bodenständig um die Vermögensverhältnisse und Amerika-Erfahrungen des an der Welt irrewerdenden Dichters.