Auf der Bühne stehen die Schauspieler des Theater Lindenhof: Csenge Toth, Carola Schwelien, Linda Schlepps, Franz Xaver Ott, Bernhard Hurm und Luca Zahn. Zahn gehört zugleich dem Bare Theatre Collective an, brachte die Gruppe nach Melchingen. Sie entstand aus einem Kurs an der Royal Academy of Dramatic Arts in London heraus und arbeitet interdisziplinär zwischen Tanz, Performance, Schauspiel. Im November traf man sich erstmals, seit dem 10. Januar wurde intensiv, in einem offenen Prozess, geprobt.
Die Vielsprachigkeit des Spiels in „Wald / Forest“ bildet die Vielsprachigkeit des Bare Theatre Collective ab: Jonathan Aubrey-Bentley, Leopold Benedict, Bartel Jespers, Imogen Mackenzie, Anita Pomario und Luca Zahn stammen aus England, Belgien, Italien und Deutschland. Sie führten gemeinsam Regie, gestalteten Bühne und Kostüme; Jonathan Aubrey-Bentley schrieb die Musik. Ihr Stück, sagt Luca Zahn, lasse sich nur unter Einbeziehung der unterschiedlichen kulturellen Hintergründe aller Beteiligten verstehen. In der Ankündigung zu „Wald / Forest“ hebt er die Bedeutung des Projekts als politisches Statement in der Zeit des Brexits hervor – nun hat die internationale Zusammenarbeit europäischer Künstler plötzlich neues, noch schwereres Gewicht bekommen.
Jene anderen, die Traumgestalten, denen Hickory im Wald begegnet, denen sie sich anschließt, aus denen sie sich wieder löst, sind zunächst ein Knäul aus Körpern und Kleidung, das weit vorne im Bühnenraum aufgehäuft ist, kaum als menschliche Ansammlung erkennbar. Erst langsam regt sich da was, strecken sich Arme, Beine heraus; dann stehen Leute auf, suchen das Hemd, die Hose, die Jacke, die zu ihnen gehört, schlüpfen hastig in sie hinein, oft erst verkehrt. Der Traum ist aus, die Scham erwacht. Und ebenso der Wald: Man hört das Zwitschern von Vögeln, ein Leitmotiv des Stücks.
Die Vögel singen nicht mehr
Das Publikum erlebt eine Reihe assoziativer Szenen, die manchmal leicht, geradezu komisch wirken, dann plötzlich alptraumhafte Züge annehmen; die Vögel singen dann nicht mehr, die schwebenden Klänge verstummen, schwere Drone-Musik legt sich brutal auf der Szene. Es gibt eine große Pantomime des Holzhackens („I hate this work!“, schimpft Bernhard Hurm); es gibt Szenen, in denen die Menschen niedersinken, tot oder betäubt, trauern und verzweifeln. Dann wieder: Auftritte mit Zipfelmütze, Kinderreime, Tanz.
Ein Seil liegt auf der Bühne, eine Schlinge, will die Schauspieler in die Tiefe des Waldes ziehen. Luca Zahn tritt auf, den Mund voll mit schwarzem Blut, geöffnet in lautlosem Schrei. Csenge Toth, als Hickory, steht in der erstarrten Menschengruppe, hält ein Heft in Händen, liest: „Ich habe eingesehen, dass das ganze Glück der Menschen schließlich wie im Traum vorbeizieht“ – Zeilen des spanischen Barockdichters Pedro Calderón de la Barca, aus dem Stück „Das Leben ist ein Traum“: „Edlen Herzen ist es eigen, zu vergeben.“ Mit sehr einfachen Mitteln wandelt sich die Szene – schmale Bahnen transparenten Stoffes hängen herab, werden zu Bäumen, zwischen denen die Menschen umherirren, zu Säulen, in denen sie in gespenstisch grünem Licht erstarren, werden geschüttelt vom Wind, während die Telefonzelle Blitze schleudert: Ein Sturm kommt auf. Die Traumgestalten recken sich im Regen, beginnen, sich zu entkleiden, ein Kreis scheint sich zu schließen. Da geschieht, was bislang nie geschah, worauf alle zu warten schienen: Das Telefon schrillt, sie stürzen in die Zelle. Und das Wechselbad der Gefühle und Ausdrucksmöglichkeiten, das sein Publikum für 70 Minuten fesselte, endet.