eine Hitler-Puppe links im Vordergrund, dahinter Puppenspieler Nikolaus Habjan

Im Bunker gibt’s nur große Männer

Neville Tranter, Jan Veldman: Schicklgruber

Theater:Deutsches Theater Berlin, Premiere:28.05.2025Regie:Neville Tranter, Nikolaus Habjan

Puppenbauer und -spieler Neville Tranters erfolgreiches Stück „Schicklgruber“ feierte in der deutschen Version von Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm am Deutschen Theater Berlin Premiere. Mit lebensgroßen Klappmaul-Puppen zeigt die Inszenierung die letzten Tage Adolf Hitlers im Führerbunker – ein ernst zu nehmendes, komödiantisches Stück über diktatorischen Größenwahn.

Kirschen sitzen auf Sahnehäubchen, in der Mitte der großen Geburtstagstorte steht eine Kerze. „Ich werd‘ 56 Jahre alt! Aber da ist nur eine Kerze!“, schreit Adolf Hitler. Er spricht ganz in Bruno Ganz‘ Manier im Film „Der Untergang“ und wie dieser handelt „Schicklgruber“ von den letzten Tagen des Diktators und seinen Nächsten im Berliner Führerbunker am Ende des Zweiten Weltkrieges 1945.

Absurder Wahnsinn zeichnet die kleine Schar, die im Schutz der grauen Betonwände ausharrt, auf dem Tisch liegen bereits die Zyankalikapseln. Die nationalsozialistische Regierung ist am Ende, die alliierte Artillerie ist nah. Explosionen erschüttern den Bühnenbild-Bunker im Deutschen Theater, Staub rieselt von der Decke. Der echte Bunker befand sich übrigens nur etwa einen Kilometer Luftlinie entfernt.

„Heil Schicklgruber!“

2003 hatte Neville Tranters „Schicklgruber“ Uraufführung am Schauspielhaus Wien. Dann reiste der Klappmaul-Puppenspieler mit der erfolgreichen Inszenierung jahrelang über die Theaterbühnen weltweit. Für eine Neufassung am DT hat der Altmeister seine Puppen und das Stück nun seinen Schüler:innen und Spieler:innen Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm übergeben.

Schicklgruber, das ist der Mädchenname von Adolf Hitlers Großmutter. Als unehelicher Sohn nahm sich sein Vater Aloys von seiner Mutter Maria Anna Schicklgruber den Namen ihres späteren Ehemanns Georg Hiedler, nur wurde aus dem „ied“ ein “it“.

Eine Puppenspielerin mit einer lebensgroßen Puppe, die den Tod darstellt, daneben eine Adolf Hitler-Puppe und sein Schäferhund „Blondie“, ebenfalls als Puppe

Manuela Linshalm, der Tod, Hitler und Schäferhündin Blondie. Foto: Thomas Aurin

Wie kann man diesen Irrsinn zum Kriegsende nahbar darstellen? Als lebensechte, skurrile Puppen gibt es in dem Stück Adolf Hitler, seine Braut Eva Braun, Joseph Goebbels mit seinen sechs Kindern und Hermann Göring. Die Puppen-Darstellung verwünscht und entzaubert diese entmenschlichten Menschen, macht aus dem Stoff ein ernst zu nehmendes, komödiantisches Stück. Hitler soll in seinen letzten Tagen im Bunker noch versucht haben, Truppen einzusetzen, die gar nicht mehr existierten. Er sitzt da am Betonschreibtisch, sein Napoleonkomplex und Schäferhündin Blondi (hier eine große Wolfspuppe mit Reißzähnen) sind das, was ihn im Innersten noch zusammenhält.

Irrsinn und Visionen

Habjan spielt nicht nur die Puppen, sondern selbst noch Hitlers Kammerdiener Heinz Linge. Und Linshalm verkörpert als weitere Figur das Kindermädchen Martha. Nur zu zweit führen sie die gesamte Handlung, charakterisieren mit verschiedenen Stimmen und Körperhaltungen die Figuren und springen fließend schnell von Puppen- zu Puppencharakter und der noch zusätzlich dargestellten Figur. Wie sie den Puppen dabei Leben einhauchen, ist schwer beeindruckend und wirkt nahbar.

Wer ist nun aber dieser Hitler? Ein gebrochener Diktator, ein einschüchternd autoritärer Chef, ein vernachlässigender Ehemann für Fräulein Braun. Und für den kleinen Helmut Goebbels ist Onkel Hitler ein starker Mann, wie sein Vater Joseph Goebbels ein Vorbild und Held. Diese kleine Figur bringt das patriarchale Miteinander auf den Punkt. Er lernt und lebt seine Position als eifriger, liebender Nachwuchs. Den Irrsinn, den er hinter den Visionen seiner Heldenfiguren nicht wahrnimmt, steht dabei konträr zu seiner naturwissenschaftlichen Begabung: „Der Mond geht nicht auf, der kreist um die Erde!“, klugscheißert er Linge an, der ihm Matthias Claudius‘ bekanntes Schlaflied vorsingt.

Die zauberhafteste Figur des Abends ist der Tod selbst, der im gelben Magiergewand gruselig grinsend über die Bühne streift. „Schickl, schickl, schikl, gruber, gruber, gruber“, beschwört er über seinem Hut die Magie, „fly, Birdie, fly“. Ist diese Figur nur ein Traum? Eine Vision? Ein böses Omen? Wie im echten Leben kabbeln sich in dieser einzigartigen Aufführung Illusion und Realität. Die größten Visionen beginnen im Kopf. Welches Ausmaß sie annehmen, erleben wir immer wieder in der Realität.