Den Auftakt machte Hauschoreograph Marco Goecke mit einer phänomenalen Neufassung seiner 2009 für das Leipziger Ballett kreierten Auslegung von Strawinskys 1917 komponierter Symphonischer Dichtung „Le Chant du Rossignol“. Auch diese Fassung ist Pina Bausch gewidmet und schält sich in scharfen, körperkonzentrierten Schattenrissen aus der für Goecke typischen Dunkelheit. Wie ein Blitz schießt sein Vogelschwarmführer Daniel Camargo aus der Kulisse auf die von Michaela Springer (Bühne) und Udo Haberland (Licht) von der Rampe aus beleuchtete weiße Fläche. Breitbeinig und die Arme von den Schultern an seitlich zu den Oberschenkeln herabgerundet, baut er sich mittig auf, um kurz darauf – heftig mit den Händen flatternd – in eine Art expressiven Diskurs zu wechseln.
Inhalt ist natürlich nicht die zugrunde liegende Nacherzählung der Geschichte von Hans Christian Andersen, sondern Goeckes Blicke lenkende Raumnutzung und kollektive Bewegungsspannung. Die drei Tänzerinnen und sieben Tänzern schwirren mit gezielten Schwüngen und smarten Sprüngen über die Bühne, pfeifen leise hinter vorgehaltener Hand und kommunizieren auch in der Umarmung so wunderbar kurios miteinander, dass man ihnen über alle elegant ausgetanzten Ballettpositionen bis hin zum plötzlichen Austicken in fiebrige Flattrigkeit gerne folgt.
Goeckes rasante, kleinteilige und hintergründige Choreographie prägt sich dem Zuschauer letztendlich wesentlich besser ein als der in fast klassisch dominierter Manier zu keinem Moment abreißende, durch diverse Paarformationen und ausgetüftelte Hebefiguren angereicherte Bewegungsfluss der neun Männer und sieben spitzenschuhbewaffneten Frauen seines für interkulturelle und stilistische Kunstamalgame geschätzten, flämisch-marokkanischen Kollegen. Klar sieht es fantastisch aus, wenn Anna Osadcenko in flammend rotem Schleppenkleid aus der Spalte eines braunen Massivs (Bühne: Willy Cessa) herausbricht und düstere, Lederriemen wie offengelegte Rippen tragende Tänzer sie umhertragen. Oder weiße Federn vom Bühnenhimmel herabsinken, wo Friedemann Vogel sich aus dem ensembledynamisch arrangierten Gruppengefüge durch ein weites Hemdkostüm (Kostüme: Tim Van Steenbergen) doch noch zu einer Art virtuosem Prinzen mausert. Alles in allem aber verschenkt Cherkaoui die in der Masse wie durch ein Kaleidoskop zersplitternde Brillanz der herausragenden Solisten zugunsten einer visuellen (nicht mal so neuen) Theatralität.
Tanz fesselt das Auge, wenn Körper und Musik symbiotisch verschmelzen. Diese Wirkung zu brechen, versuchte Demis Volpi. Mit der „Geschichte vom Soldaten“ hatte er – trotz der sprechtextfreien Suite (1919) – musikalisch zum sprödesten Vorbild gegriffen. Gemeinsam mit seiner findigen Ausstatterin Katharina Schlipf punktete er zwar im vorangestellten Prolog mit einem szenisch multifunktionalen Set aus unzähligen Schrank- und sonstigen Koffern. Eine Idee, die motiviert durch eine auf die Bühne einfallende 13-köpfige Wandertruppe viel Farbe und darstellerischen Witz in sich barg. Warum aber löst Volpi das vergnügliche Spiel im Spiel am Ende nicht wieder auf?
Seine Soldaten und deren Bräute bleiben gut animierte Figuren in einer teuflischen Intrige, die in lautem, tödlichen Feuerzauber kulminiert. Volpis diabolischer Clou ist Alicia Amatriain, die mit beweglicher Maske und weißer Schminke alle Register eines omnipräsenten Teufels zieht. Ihre Begierde, nach des Soldaten Geige, Seele und Kunst(fertigkeit) zu spielen, gibt Anlass zu kompliziertem Partnering zwischen der ausdrucksstarken Primaballerina und dem Eleven (!) Marí Fernadez Paixa mitsamt Streichinstrument. Das Experiment mag nicht gänzlich aufgegangen sein. Der Beweis, was Choreographen im Verbund mit einer toller Compagnie zu leisten im Stande sind, allemal!