Foto: Hans (Lennart Olafsson) tauscht Kuh Berta (Paulina Wojtowicz) mit dem Schmied (Dominik Müller) gegen ein Schwein ein. © Udo Krause
Text:Antonia Ruhl, am 20. März 2022
Spielplatzaufenthalte, Kuchen, die Traktormitfahrgelegenheit und Hilfe bei der Maisernte, die eigene Gesundheit oder die der Nächsten – und immer wieder das harmonische, gemütliche oder festliche Zusammensein mit der Familie, Freundinnen und Freunden oder (realen ebenso wie ersehnten) Haustieren: Derlei Notizen und filzstiftbunte Bilder trägt momentan der papierne Glücksbaum im Foyer der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt und wartet darauf, weiter mit den persönlichen Glücksmomenten kleiner und großer Besucherinnen und Besucher bestückt zu werden. Den Anlass zu dieser allgemeinen Glücksreflexion bietet das aktuelle Familienmusical „Hans im Glück / Szczęśliwy Jaś“ und auch das macht, den Reaktionen des Schwedter Premierenpublikums nach zu urteilen, offenbar glücklich.
So grundlegend und ausnahmslos die Frage nach dem Glück die Menschen seit jeher umtreibt und sie verschiedenartige – etwa individuelle, philosophische, religiöse oder soziologische – Glückskonzepte formulieren lässt und ließ, so schmerzhaft wird die Glücksfrage in jenen schockierenden Momenten, in denen sich das Glück (meist schlagartig) in Unglück verwandelt. In Schwedt nun greifen der inszenierende Intendant André Nicke und der Musicalautor Tom van Hasselt (seit kurzem den Uckermärkischen Bühnen als fester musikalischer Leiter verpflichtet) auf das einschlägige Grimm’sche Märchen „Hans im Glück“ zurück, um die Debatte um das Glück Menschen ab fünf Jahren näherzubringen.
Im Märchen will Hans nach siebenjähriger Arbeit gen Heimat ziehen und erhält von seinem Meister zum Lohn einen Goldklumpen. Unterwegs fällt ihm auf, welche schwere Last er sich mit diesem Klumpen aufgeladen hat, und tauscht ihn kurzerhand gegen ein krankes Pferd ein. Das wird ihm ebenfalls bald zur Last und so tauscht er auf seinem Weg munter weiter: Pferd gegen Kuh, Kuh gegen Schwein, Schwein gegen Gans. Immer scheint ihm zufällig das zu begegnen, was er anstatt seines aktuellen Besitzes wirklich braucht. Als wahren Glückspilz wähnt er sich! Auch die unvermeidliche Konsequenz des schlechten Handels, die Ankunft Hans‘ mit leeren Händen, stimmt ihn frei und froh.
Geschickt und schwungvoll
Van Hasselts Musicaladaption vertieft die Handlung mit einem ausgeprägteren Antagonismus (mit dem betrügerischen Schmied), der Andeutung einer zarten Liebesgeschichte (mit der Wirtstochter Lina), einem Generationenkonflikt (Schmied und Wirt contra Hans und Lina) sowie einem Nachdenken über den Zusammenhang von Glück und materiellem beziehungsweise immateriellem Besitz.
In Frauke Bischingers Ausstattung spiegelt sich eine farbenfrohe, mittelalterlich-märchenhafte Welt wider, wird jeder Verweis auf ein Heute abgelehnt. Ent- und Verhüllen sowie die drehbaren Wände des zirkuszeltartigen, mittigen Rondells ermöglichen schnelle, klare Situations- und Schauplatzwechsel. Das deutsch-polnische Libretto bringt unaufdringlichen Wortwitz, eine ganze Palette an tiermetaphorischen Redewendungen mit der heutigen Allgegenwart englischer Versatzstücke („guter Deal“) zusammen.
Lennart Olafsson (Hans), Theresa Löhle (Lina), Paulina Wojtowicz (Tiere), Dominik Müller (Schmied) und Uwe Schmiedel (Wirt) verleihen ihren Figuren Charme und typischen Charakter, spielen und singen sie stets engagiert, stimmlich mal mehr, mal weniger überzeugend aus. Van Hasselts konsequent aus dem Klavier heraus gedachte, eingespielte Musik formt die inhaltlichen und emotionalen Song-Höhepunkte, untermalt und verbindet aber auch die Sprechszenen. In Kombination mit einigen Tanzeinlagen (Choreografie: Dominik Müller) zieht so auch in die Kammerspielstätte intimes theater Musical-Schwung ein.
Mehrsprachigkeit für Kinder
Das eigentlich Innovative und Beachtliche in dieser Uraufführung aber besteht in ihrer Zweisprachigkeit – in der Ankündigung, für deutsches wie polnisches Publikum zugänglich zu sein, der Kinder wegen aber ganz ohne die herkömmliche Methode der Übertitelung. An den Uckermärkischen Bühnen bilden deutsch-polnische Inszenierungen mehr eine Regel als eine Ausnahme. Der Hauptgrund dafür liegt in Schwedts Standortbesonderheit: Als Stadt in der Grenzregion sind Schwedt und sein Theater für manche Polinnen und Polen besser zu erreichen als polnische Theater. Gebündelt wird der kulturelle Austausch seit einigen Jahren in dem Theaternetzwerk viaTEATRI, an dem auch das Theater Vorpommern und die Oper in Stettin mitwirken.
Für den Sprachtransfer in „Hans im Glück“ ist insbesondere die Tier-Darstellerin Paulina Wojtowicz zuständig. Polnisch ist hier die Sprache der Tiere, die das Bühnengeschehen kommentieren, beobachten und auch aktiv gestalten. Das setzt Wojtowicz hervorragend um und versäumt dabei nicht, dem Paradiesvogel Felix, dem lahmen Pferd Bronko, dem Babyschwein Freddy, der eitlen Kuh Berta und der schnatternden Wachgans Luzie eigene, unverwechselbare Charakterzüge zu verpassen. Aber auch Menschen können die Tiersprache erlernen: „Woher kannst du eigentlich die Sprache der Tiere?“, fragt der Wirt seine tierliebende Tochter Lina, und die antwortet: „Man muss einfach nur zuhören.“ Und so entwickelt sich aus dem (auch thematisierten) Nichtverstehen zunehmend ein Austausch zwischen Menschen und Tieren, bis hin zum äußerst symbolisch aufgeladenen familiären Zusammenleben.
Dass wegen des dennoch vorwiegend deutschsprachigen Spiels nicht alles zu verstehen war, störte die anwesenden Kinder aus Chojna offenbar nicht. Im privaten Nachgespräch weckten zwar die polnisch sprechenden Tiere besonders ihre Sympathie, sie zeigten sich aber auch insgesamt begeistert von der Bühnengestaltung, Musik und tänzerischen Darstellung.