Foto: © Jeanette Bak
Text:Manfred Jahnke, am 5. Juli 2025
„Barker“ am Theaterhaus Stuttgart erzählt eine Geschichte vom Dienstpersonal von der Unterwerfung bis zur Auflehnung. Mit Gauthier Dance JUNIORS hat Barak Marshall eine Choreographie entwickelt, die über ein einfaches Teilhabe des Publikums hinausgeht.
Sechs Tänzer:innen betreten langsam die Bühne. Sie kleiden sich langsam als Dienstboten ein, die Frauen in blaugetönten Kleidern von verschiedenen Schnitten, die Männer in braunen Hosen und Hemden in eher türkishaften Farben (Kostüme von Gudrun Schretzmeier). Schritte hallen durch den Raum. Eine Klingel ertönt. Langsam greift das Ensemble zu Besen und Kehrschaufeln. Sie kehren die Bühne und unter den Füssen der Zuschauer. Und plötzlich wirbeln sie über die Szene zu harten Balkan Rock. Atemberaubend.
Barak Marshall hat mit der Gauthier Dance JUNIORS eine wilde Choreografie geschaffen. In „Barker“ (was im Englischen einen Marktschreier bezeichnet) erzählt er mit seinem stark körperbetonten Bewegungsrepertoire eine Geschichte: von Dienstpersonal, das sich murrend dem nie anwesenden Herrn unterwirft, immer mehr aufmupft bis hin zur offenen Auflehnung: Da werden zum Ende hin rhythmisch rote Fahnen geschwenkt. Publikum wird zudem auf die Bühne geholt, von den Tänzer:innen zum Putzen angetrieben. Dazu spielt – die „Internationale“, die man an diesem Ort, dem Theaterhaus Stuttgart, nur noch aus den Frühzeiten seiner Geschichte kennt: „Ein Gespenst geht um in Europa.“
Von der Geburt bis zum Tod
In diesem ersten mehrgenerationenübergreifenden: Werk von Gauthier Dance lässt sich eine klare Botschaft rekonstruieren. Aber Barak Marshall wäre nicht Barak Marshall, wenn er nicht mit Witz, ironisch eingesetzter Musik – von der Balkan Beat Box bis Tommy Dorsey, von den Barry Sisters bis zum Gypsy Orchestra – und einer präzisen Bewegungschoreografie punkten würde. In dieser Produktion wird zudem immer wieder das Publikum einbezogen, und das nicht nur, wenn Zuschauer:innen auf die Bühne geholt werden, wie in einer wunderbar grotesken Szene, in der sie als schwarzgewandete Ammen auf Stühlen hocken. Aus den Röcken starren Gesichter. Marshall nutzt diese Situation, um zugleich eine Geschichte von der Geburt bis zum Tod zu erzählen. Die Teilhabe geht dabei weit über das aktive Mittun hinaus: die Musik schwingt in den Körpern des Publikums mit, aber auch die Rhythmen der energiegeladenen Tänze drängen in die Muskeln der Zuschauenden.

Das Publikum putzt zu den Klängen der „Internationale“ die Bühne. Foto: Jeanette Bak
Die Tänzer:innnen von Gauthier Dance JUNIOR beeindrucken nicht nur durch ihr Können, sondern mehr noch durch ihre starke persönliche Ausstrahlung: Rebecca Amoroso, Rong Chang, Atticus Dobbie, Garance Goutard-Dekeyser, Joan Jansana Escobedo und Mathilde Roberge formen sich zu einem großartigen Ensemble. Trotz der Kraftakte, die Marshall fordert, schwebt dabei eine wunderbare Leichtigkeit im Raum. Die Freundlichkeit, mit der sich das Ensemble dem Publikum zuwendet, die Offenheit des Spiels auch, die am Ende einen Kaffee einzufordern versucht, überzeugen zutiefst.
Die Premiere fand in der Sporthalle des Theaterhauses statt. Drei Zuschauertribünen kreisen die Spielfläche ein. Gedacht ist „Barker“ als Tournee durch die Sporthallen der Schulen Stuttgarts und darüber hinaus. Da möchte man gerne wieder zum Schüler werden.