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Ivana Sokola: Die Zauberflöte

Theater:Theater Hof, Premiere:23.09.2023 (UA)Vorlage:Die ZauberflöteAutor(in) der Vorlage:Wolfgang Amadeus MozartRegie:Kerstin SteebMusikalische Leitung:Ivo Hentschel

Ivana Sokola überschreibt Schikanders Dialoge und implementiert die Umweltproblematik ins Werk. Die Oper „Die Zauberflöte“ von Mozart hat am Theater Hof auch in dieser Version Effekt.

Der Zauber kam der Welt teuer zu stehen. Paminas verstorbener Vater hatte die tausendjährige Eiche gefällt, um das für Mozarts Oper titelgebende Instrument daraus zu schnitzen. Offenbar hatte der Naturfrevel üble Vorbildfunktion. Denn seither sterben Bäume, Blumen und Tiere aus. Vogelfänger Papageno muss sich gefiederte Restexemplare von kahlen Ästen klauben. Die drei Damen durchstreifen das Reich der nächtlichen Königin im Pritschenwagen, um überlebende Flora zu sammeln und zu hegen. Doch setzt nicht allein die Umweltzerstörung der Erde und ihren Bewohnern zu, männliche Herrschaft unterjocht des Menschengeschlechts weibliches Element. Die Königin der Nacht leistet Widerstand. Mehr noch, sie unternimmt einen Gegenangriff auf die Burg Sarastros, des Erzrepräsentanten aller Männlichkeit. Tamino soll ihr Werkzeug sein wie Pamina das Instrument in Händen Sarastros. Die beiden jungen Leute aber sehen, wohin Umweltzerstörung und Geschlechterkampf führen. Das Paar sucht sich von den Konflikten der Elterngeneration zu emanzipieren, um den Frieden unter Mensch, Tier und Pflanze, wie auch den zwischen den Geschlechtern, wiederherzustellen.

Rücksicht auf Mozarts Partitur und Schikaneders Dramaturgie

So jedenfalls in Hof, für dessen Theater Ivana Sokola das Schikanedersche Libretto überschrieben hat. Sokola verhält sich solidarisch zur Musik Mozarts wie zur Dichtung des „Urlibrettisten“. Den Text der Gesangsnummern tastet sie mit Ausnahme der Monostatos-Arie nicht an. In den Dialogen weitet sie den Raum für in Schikanders Text schon angelegte oder mindestens angedeutete Konflikte. Allererst zielt das auf die durch Aufklärungspathos mühsam verbrämte männliche Herrschsucht. Die Ansprüche der nächtlichen Königin erscheinen unter solchem Vorzeichen weniger von Machtgier getrieben, denn als Notwehr. Deutlich aufgewertet zeigt sich Papagena. Bevor sie sich mit dem Vogelfänger verbindet, rückt sie erst einmal dessen Vorstellungen von der Ehe zurecht. Gar so einfach lässt sie sich dann doch nicht in Papagenos Hütte abschleppen. Sokolas poetisches Idiom trifft Figuren, Situationen und Stimmungen präzise und ist reich an Valeurs. Was sie der Schwärze des nächtlichen Reiches zuschreibt, erzeugt einen Sog hin zu jenen Urbildern und Urempfindungen, aus denen Utopie wie Dystopie erwachsen. Doch geht die Umweltproblematik zu weit über Mozart und Schikaneder hinaus, sie wäre etwa Sache des „Freischütz“ oder von Wagners „Ring“.

 

Papageno (Andrii Chakov), Pamina (Sophie-Magdalena Reuter), Sarastro (Michał Rudziński), Opernchor. Foto: Harald Dietz

Emanzipative Jugend

Regisseurin Kerstin Steeb lässt in der Dystopie von Naturzerstörung und Geschlechterkampf immer wieder utopische Augenblicke möglicher Versöhnung aufscheinen. Die Generation der Väter ist – wie im Fall Sarastros und seines Klerus – bis zur Karikatur ihrer selbst abgehalftert. Junge Leute wie Pamina und Tamino wollen ihren Weg unbefangen von den Ansprüchen der Altvorderen gehen. Papageno kommt als grundsympathischer Anarchist daher. Jan Hendrik Neidert wuchtet für das nächtliche Reich zerstörte Natur und Zivilisationsmüll auf die Bühne. Im Verein mit Lichtdesigner Jürgen Burger taucht er Sarastros Sphäre in eine allgemeine Aura von Sakralität. Einen bunt-ironischen Stilmix betreibt Kostümbildnerin Lorena Díaz-Stephens. Königin der Nacht und Pamina waren beim Friseur für Punks.

Substanz im Graben und auf der Bühne

Auch musikalisch erweist sich der Abend als tragfähig. Unter Lucia Birzer bringt sich der durchschlagskräftige Opernchor des Hauses zu Gehör. Aus dem Graben lässt Ivo Hentschel die Hofer Symphoniker historisch informiert, aber vital und ohne museales Gehabe tönen. Minseok Kim leiht Tamino seinen stilistisch ausgefeilten Tenor. Bei Sophie-Magdalena Reuter zeigt Pamina viel Selbstbewusstsein. Seinen Sarastro gibt Michal Rudzinski mit einer ganzen Portion Ironie. Andrii Chakov präsentiert sich als Sympathiebolzen von Papageno. Henriette Schein ist eine couragierte Papagena. Der Königin der Nacht verleiht Laura Braun kämpferische Attitüde.

Wenn auch die Überschreibung von Schikanders Dialogen im Ganzen funktioniert, so steht doch auf einem anderen Blatt, ob es nicht folgerichtiger wäre, den komponierten Text und letztlich auch Mozarts Partitur in das Projekt einzubeziehen.