Altenburg Gera Brecht Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui

#zukunftsszenario

Bertolt Brecht: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui

Theater:Theater Altenburg Gera, Premiere:08.06.2025Regie:Alexander FlacheMusikalische Leitung:Olav Kröger

Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ wird am Theater Altenburg Gera von Olav Kröger mit von den Nationalsozialisten angeeigneten Musikstücken wie Wagner versetzt. In Alexander Flaches Inszenierung dominieren Brechtsche Themen wie totalitäre Machtwechsel und kollektive Ängste; es bleibt jedoch bei bloßen Andeutungen zur unmittelbaren Gegenwart.

Eine harte Herausforderung: Während der ersten Probentage dieser spartenübergreifenden Produktion hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz am 2. Mai 2025 die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingeordnet. Am Regiekonzept, welches Struktur, Inhalt und ästhetische Form von Bertolt Brechts 1941 in Finnland entstandenem Theaterstück in Analogie zu aktuellen Tendenzen Deutschlands und internationaler Entwicklungen setzen wollte, änderte das nichts. Wohl aber in der Betroffenheit des Ensembles gegenüber diesem „Arturo Ui“, mit dem Brecht eine theatrale Analogfigur zu Adolf Hitler und dessen Aufstieg zum nationalsozialistischen Reichskanzler ins Chicago von Al Capone versetzt hatte.

Das ostthüringische Fünfspartenhaus rückte das trotz drastischer Detailfülle verblüffend klare Stück in die Nähe eines szenischen Oratoriums. Alexander Flache vertraute in seiner Regie stark dem Ensemble. Olav Kröger komponierte eine Bühnenmusik, in welcher der von den Nationalsozialisten heroisierte Richard Wagner und anderes Musikgut so irrlichtert wie in Brechts „Arturo UI“ Textmaterial aus der dramatischen Weltliteratur von Shakespeare bis Goethe. Wie Nachfahren des Chors einer altgriechischen Tragödie wirkten die neutral, aber nicht ärmlich kostümierten Mitglieder des Opernchors (Leitung: Alexandros Diamantis). Das Kammerensemble aus dem Philharmonischen Orchester Altenburg Gera fand unter Olav Kröger zu einem von der Tontechnik mehr opulent aufgeblasenen als suggestiven Klang. Selbst wenn die elektronische Verstärkung bei der Premiere stellenweise zu grell und die Textverständlichkeit des Chors im wegen verzögerter Sanierungsarbeiten am Theater Altenburg noch immer nötigen Theaterzelt deshalb zu undeutlich war, lauschte das Premierenpublikum mit angehaltenem Atem. Am Ende explodierte der Applaus mit enthusiastischem Zuspruch.

Bühne in einnehmenden Blautönen

Nur allzu verständlich: Das an vielen Stellen marode Stadtbild des früheren Historismus-Schmuckstücks Altenburg darbt unter dichten Staubschichten von Langzeitbaustellen. Immer größere und martialisch wirkende Gewerbegebiete vergrößern die Distanz zum Altenburger Land. Gründe der sozialen Spaltung sind in dieser Region also nur zu deutlich sichtbar, deren Motorik ein gewichtiges Thema von Flaches Inszenierung. Auf der Bühne mit asymmetrischen, variablen Wandelementen setzt Petra Linsel-Mahrer alles in die Farbe der „Blauen“. Dieses Blau, welches die Braun- und Grautöne der meisten Kostüme einzusaugen scheint, bewahrt eine charismatische Intensität. Die politische Saat des Emporkömmlings Arturo Ui gräbt sich immer tiefer in den glatten Boden der Demokratie. Die großkapitalistischen Lobbyisten enthebeln aus Angst vor dem Sturz das Rechtssystem mit funktionalem Pragmatismus. So gewinnt Ui, der Verbündete mit kriminellem Potenzial, an Einfluss.

Altenburg Gera Brecht Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui

In Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ am Theater Altenburg Gera dominiert die Farbe Blau im Bühnenbild. Foto: Ronny Ristok

Als Übertitel vermengen sich hinter dem Hashtag #zukunftsszenario Brechts originale Szenentitel mit Schlagworten zu den Stationen totalitärer Machtwechsel, der Steigerung kollektiver Ängste, Eliminierung politischer Gegner und demokratischer Instrumente. Die Mitwirkenden gestalten mit emphatischer Sachlichkeit Brechts Parabel, welche mit Uis Übernahmephantasien Richtung New York endet. Aus dem Ensemble ragen Peter Prautsch (Alter Dogsborough) und Marie-Luis Kießling (Ernesto Roma) heraus. Thomas C. Zinke, Valentino Fortuzzi, Thorsten Dara, Ines Buchmann und alle anderen agieren auf hohem Niveau.

In der Deutlichkeit der Bühnenrede und den Setzungen dieser Spieldynamik merkt man den hohen Anspruch einer weit ins 20. Jahrhundert zurückreichenden Tradition mit den Idealen von Deutlichkeit und didaktischer Präsenz. Linsel-Mahrers Gesellschaftskleidung meint das 20. und das 21. Jahrhundert. – „Und wenn einer tritt, dann bin ich es…“: Auffallend opulente Schuhkreationen dienen der Stilisierung und Unterscheidung von Hackmethoden in den ausgeweiteten Kampfzonen. Mitunter greift Flache zu Mitteln einer pantomimischen Choreographie, welcher die Musik nicht ganz mit ebenbürtiger Präsenz zu folgen vermag.

Assoziationen im Kostüm

Arturo Ui ist in diesem 1958 in Stuttgart (und nicht in Ostberlin) uraufgeführtem Stück das magnetische Zentrum. Jakob Spiegler versetzt die sich ihre Spitzenposition durch eine Kette von Fehlentscheidungen des nicht minder korrupten Umfelds erobernde Titelfigur mit leichtem Vibrieren der Lippen, Blinzeln und manierierter Stimmhöhe in Spannung. Das Stahlblond von Uis Scheitel evoziert Assoziationen zum physischen Ideal im Nationalsozialismus. Sein ultramariner Anzug bekennt politische Farbe, sein schwarzes Hemd und die rote Krawatte darunter deren Basis. Zufall? Den ganzen Abend bleiben die Farben Gelb und Grün peripher. Der Chor umringt den Politik-, Konzern- und Warenschacher mit dem Anspruch einer gesellschaftlichen Mitte auf Dabeisein und Partizipation.

Bei Andeutungen zur unmittelbaren Gegenwart und bedrohlichen Zukunft bleibt es, weil Flaches Inszenierung all das ausblendet, was es zur Entstehung des Theaterstücks noch nicht gab. Also Erinnerung an Verarmung ja – aber Aktualisierung in Hinblick auf die verhältnismäßig jungen Ängste vor Migration und digitaler Manipulation nein. Trotz von Brechts Parallelen zu Machtverschiebungen ins ‚Dritte Reich‘ und der Genauigkeit seines dramatischen Strategie-, Intrigen- und Klima-der-Angst-Geflechtes ergibt sich kein Angstkick. Die Relevanz gebärdet sich bedrohlich, bleibt aber kühl.