Nora oder ein Puppenheim Henrik Ibsen Theater der Stadt Aalen

Frauen sind immer noch Puppen

Henrik Ibsen: Nora oder ein Puppenheim

Theater:Theater der Stadt Aalen, Premiere:02.03.2024Regie:Tonio Kleinknecht

In Henrik Ibsens „Nora oder ein Puppenheim“ am Theater der Stadt Aalen spielt das Bühnenbild eine entscheidende Rolle. Die Inszenierung von Toni Kleinknecht zeigt Noras Krise zwischen Objektifizierung als Frau, Rolle in der Familie und persönlicher Identität.

Eigentlich sollte die Geschichte der Entpuppung der Nora, wie sie Henrik Ibsen in „Nora oder ein Puppenheim“ beschreibt, historisch erledigt sein. Ist es aber nicht, wie gerade wieder eine Inszenierung von Tonio Kleinknecht am Theater Aalen vorführt: Frauen werden immer noch zu Puppen gemacht.

Die Regie verlässt sich auf den Text von Ibsen, wobei die Übersetzung von Marie von Borch aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts benutzt wird. Eine entscheidende Bedeutung allerdings hat das Bühnenbild von Ariane Scherpf: Auf einem Lattengerüst befindet sich in der Mitte ein großes Lebkuchenherz, auf dem „Leckermäulchen“ eingraviert ist, mit drei Hockern mit Blütenblättern als Polster, sowie zwei Luken, in denen es zu den anderen Zimmern außerhalb des Spielraums geht. Drei Pfähle ragen aus dem Gerüst hervor, an der linken ist eine Klingel befestigt, in der Mitte der Briefkasten, der für Nora so eine entscheidende Rolle spielt, an der rechten ein Eichkätzchen, das nicht direkt angespielt wird.

Sinnbildliches Bühnenbild

Wie die einzelnen Figuren über dieses Lattengerüst balancieren müssen, ist allein schon sehenswert. Wie sich Bernd Tauber als Dr. Rank mühsam über die verschiedenen Latten bewegt, sagt schon viel über den Zustand seiner Figur aus, ebenso wie Kristine Walter als Frau Linde sich über dieses Gerüst angelt. Dieser antinaturalistische Raum spiegelt in seiner Fragilität die Brüchigkeit der Beziehungen.

Nora oder ein Puppenheim Henrik Ibsen Theater der Stadt Aalen

Nora wird wie eine Puppe behandelt, doch sie scheint diese Wahrnehmung langsam zu durchschauen. Foto: Peter Schlipf

Die Bilder, die Kleinknecht erfindet, erzählen von Verfall und Lebenslügen. Wie Julia Sylvester als Nora erkennt, sowohl vom Vater wie von Torvald, ihrem Mann, als „Puppe“ vorgeführt worden zu sein, ist eines der großen Momente dieser Inszenierung. Diese Nora ist nicht aufrichtig, nicht weil das Lügen in ihr Leben eingeschrieben ist, sondern weil sie die Maske braucht, um ein Gefühl von ihrer Existenz zu haben. Julia Sylvester spielt das Puppenhaft-, Verspielt-Kindliche groß aus. Hier nascht sie noch mehr Makronen als schon bei Ibsen beschrieben und mehr noch knabbert sie ständig an einem Armring aus grüner Lakritze.

Unterwerfung Noras

Malte Sylvester als Ehemann ist der joviale Typ, der meint, ein unartiges Kind erziehen zu müssen. Er akzeptiert in Nora nicht den Menschen, sondern ein Lustobjekt, das er nach seinem Gutdünken verbiegen kann: Die Frau ist dem Mann untertan. Schmerzlich für ihn, der am Ende im Superman-Kostüm agiert, dass „seine“ Nora zu einem eigenen Bewusstsein als Frau gelangt und ihn und die Kinder verlässt. So aasig, wie Malte Sylvester den Torvald Helmer spielt, wird deutlich: diese Männlichkeit und diese Karrieregeilheit wollen dominieren. Arwid Klaws als Krogstad setzt diese Männlichkeit gebrochener. Schon auf Grund seiner Vergangenheit, seiner gesellschaftlichen Ächtung agiert er mit einer Mischung aus Aggression und Mitleid auf die Entdeckung, dass Nora eine Unterschrift gefälscht hat.

Wenn Tonio Kleinknecht in seiner Inszenierung stark in die Texte von Ibsen hineinhört, verzichtet er nicht auf klare szenische Signale. Durchgängig wird dies im Balancieren des Ensembles auf dem Holzgerüst nachvollziehbar. Dass dabei alle Spieler:innen immer sichtbar auf der Bühne bleiben, verdeutlicht das enge Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren. Zwischen Torvald und Krogstad ist dieses so nahe, dass sie sich ihre Botschaften und Kündigungsschreiben per gefaltetem Papierflieger zustellen.

Zerissenes Herz und zerissene Identität

Wenn Nora sich entschließt, gegen Mann und Kinder zu einer eigenen Identität zu finden, zerreißt das Lebkuchenherz. Auch sonst arbeitet diese Inszenierung differenziert mit bildnerischen und musikalischen Mitteln: Manchmal wird die rückwärtige Leinwand farbig ausgeleuchtet, „O du fröhliche“ eingespielt – die Handlung spielt an Weihnachten – oder mit Nick Cave’s „Push the sky away“ die Selbstmordfantasien von Nora zum Ausdruck gebracht.

Eine spannende Inszenierung!