Symphonische Vernichtung

Nach Rainald Goetz: Johann Holtrop

Theater:Schauspiel Köln, Premiere:25.02.2023 (UA)Regie:Stefan Bachmann

In der Ouvertüre beschreiben acht Figuren in Blaumännern ihre minder bezahlte Reinigungsarbeit bei Arrow PC. Die einfachen Arbeiter bilden eine Gegenwelt zum Kosmos des Vorstandsvorsitzenden der übergeordneten Assperg AG; auch deren Vorstandsvorsitzender Johann Holtrop trägt blau, in Form eines Designer-Anzugs (Kostüme: Jana Findeklee und Joki Tewes). Johann Holtrop wird – wie auch alle andere Figuren in dieser Koproduktion des Schauspiel Köln und des Düsseldorfer Schauspielhauses – von einer Frau gespielt: Melanie Kretschmann ähnelt dabei mit ihrem kurzen schlohweißen Haar dem Autor der Textvorlage Rainald Goetz. Sein 2012 erschienener Roman „Johann Holtrop“ beschreibt den Niedergang eines Topmanagers der 0er Jahre dieses Jahrhunderts, die Hauptfigur ist dabei unter anderem an den ehemaligen Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff angelehnt. Holtrop definiert sich und sein Agieren über die Verachtung gegenüber seinen Kollegen, auch Goetz macht aus seiner Abscheu gegenüber dieser kapitalistischen Männerwelt keinen Hehl und gewährt dennoch Blicke auf die seelischen Nöte des Helden.

Frauen in der Männerwelt

Die Welt dieses Romans liegt in weiter Ferne; das wird vielleicht am Deutlichsten, wenn der Bundeskanzler Schröder bei einer Veranstaltung der Firma auftaucht – indem er durch ein von der Managermasse geradezu angebetetes Konterfei auf Pappkarton repräsentiert wird. Schröders Machismo ist ja spätestens seit dem, durch seinen Buddy Putin angezettelten, Beginn des Ukrainekriegs zur Karikatur eines unhaltbaren Basta-Herrschers verkommen. Die Inszenierung konzentriert sich in der Textfassung des Regisseurs Stefan Bachmann und der Dramaturgin Lea Goebel folglich konsequent auf die allgemeinmenschlichen/-männlichen Aspekte der Figuren. Das durchweg starke Ensemble besteht ausschließlich aus Frauen (neben Melanie Kretschmann sind das Nicola Gründel, Anja Lais, Rebecca Lindauer, Lea Ruckpaul, Luana Velis, Cennet Rüya Voß und Ines Marie Westernströer). Mehr oder weniger deutlich karikieren sie die patriarchale Welt des Großkapitalismus und spielen zudem die wenigen Frauen in diesem Kosmos. Dabei gelingt es eher selten aus diesem Geschlechtertausch künstlerisches Kapital zu schlagen, etwa wenn Lea Ruckpaul doppelbödig den von seiner Escort-Dame (Luana Velis) erotisch verzückten Holtrop-Prinzen Leffers ausspielt. Melanie Kretschmann zeigt Holtrop präsent, aber nicht als ambivalente Persönlichkeit.

Starke Form

Überzeugend ist bei ihr wie allen Mitspielerinnen die hohe Präzision der Bewegungen (Choreografie und Körperarbeit: Sabina Perry) durch eine Welt von zahlreichen engmaschigen, vertikal aufgespannten Drähten (Bühne: Olaf Altmann). Das Spiel bekommt auf dieser Bühne eine bezwingende abstrakte Form: Es entstehen (oft) rechteckige Spielfelder (Licht: Michael Gööck), verweisen auf Raubtierkäfige lassen die Männer wie Marionetten erscheinen. Zugleich prägt die durchgängige symphonische Begleitung der vier Musiker unter Leitung von Sven Kaiser die Inszenierung. „Johann Holtrop“ wird zu einem Requiem, mit präzise chorisch gesprochenen Partien. Damit entkommt diese Romanadaption auf handwerklich beindruckende Art und Weise der Gefahr, zur illustrierenden Nacherzählung zu werden. Vielmehr gestalten die acht Sprecherinnen, häufig im Blankvers, die fast gerappte Chronik eines vernichteten Vernichters. Zwischen epischer Erzählung, Ich-Beschreibung und Dialog entsteht das Bild einer künstlichen Welt, deren Protagonist sich eigentlich auch als Künstler sieht. Und doch ist dieser „Johann Holtrop“ ein – hervorragend gespieltes – Historienspiel aus einer inzwischen recht fernen Epoche. Die Masken der feminin unterwanderten alten Männerwelt fallen nicht, die Form bleibt bestimmend, neue Blicke, Wut oder Mitleid entstehen nicht. Das letzte Wort nach Holtrops Tod hat die Bass-Klarinette.