Ensembleszene

Stochern im Nebel

Enis Maci: Lebendfallen

Theater:Schauspiel Leipzig, Premiere:09.03.2018 (UA)Regie:Thirza Bruncken

Thirza Bruncken inszeniert „Lebendfallen“ am Schauspiel Leipzig

„Bitte langweilen Sie uns nicht, das haben wir nicht verdient.“: Bitter erschallt das Zuschauerlachen über diesen relativ spät fallenden Satz. Und doch markiert er in seiner Schlichtheit die Quintessenz von „Lebendfallen“ am Schauspiel Leipzig, das sich in zweieinhalb Stunden pausenlosem Stochern im Nebel als Scheitern von Text und Regie entpuppt. Ob Regisseurin Thirza Bruncken dabei den bemüht kunstvollen Text von Enis Maci zu ernst nahm oder einfach darüber hinwegspielen lassen wollte, weil sie nicht damit anfangen konnte, bleibt Interpretationsfrage.

Eine starke Raumsituation zieht zunächst die Aufmerksamkeit an. Der ganze Saal ist mit weißer Plastikplane abgehängt. Weißes Plastik bedeckt auch den Boden im Zuschauerbereich, auf der als ein großer, erhöhter Holzpodest gestalteten Bühne stehen Raumteiler aus Glas. Eine Batterie von Neonleuchten illuminiert den weißen Kubus grell-unterkühlt von oben. Auf den ersten Blick erinnert dieses Setting an eine Krankenhaussituation. Die Offenheit der eigentlichen Studiobühne ist zum halben Guckkasten geworden. Freigelegt sind die Fenster zur Ringstraße hinter der Bühne, sodass Passanten ihrerseits wie durch Sehschlitze Einblicke auf das Geschehen und Publikum erhalten. Kalt, steril ist das Gehäuse, in dem seziert und analysiert wird.

Analytisch will auch der Text wirken, der mit der Steinkohlewerdung des Urfarns beginnt. Ihm zu folgen, ist an diesem Abend unmöglich. Mehrfach wird ein Zentrum des größten Schmerzes erwähnt, zu dem man hinabsteigt. Laut Programmheft soll es um vier Familiengeschichten gehen, die collagenartig verschränkt sind. Entschlüsseln kann man das nicht. Der auf Kunstfertigkeit hingestanzte Text, aus dem mehr Eitelkeit der Autorin als Interesse für Figuren und Geschichte sprechen, ist eine Aneinanderreihung von um Sprichworten erweiterten Phrasen. Wer da wie und warum spricht, wird nie klar.

Darum bleibt auch offen, ob die vier Darsteller eigentlich Rollen spielen oder Sprechpositionen wechseln. Das hat anfangs aufgrund des Raumes etwas Einnehmendes. Wie ein Nichtort erscheint der ganze Saal, eine Transitzone, in der die Darstellenden auf Stühlen Platz nehmen, aufstehen, den Standort wechseln und dabei Absätze aufsagen. Ihr meistens artifizielles Spiel gibt ihnen etwas Roboterhaftes. Als Menschenmasken wirken sie, ihre Textschnippsel klingen wie jene Fragmente, die man so aufschnappt bei Passanten in der S-Bahn oder auf der Rolltreppe. Mit dieser Tristesse à la Edward Hopper kann man sich anfreunden, nur wird der Effekt dann einfach aufgegeben. 20 Minuten lang zieht sich eine anschließende sprachlose Slapsticknummer, in der ein menschenhoher Pappkarton durch den Raum geschoben wird; mit allerlei Verletzungen, denn er wird als zentnerschwer dargstellt. Und immer wieder rennt einer gegen die Glaswand. Bei diesem Crossover aus pantomimischen Mann im Kasten und Buster Keaton fehlt das Timing, ansonsten kann man den Schauspielenden keinen Vorwurf machen.

Sie mühen sich redlich ab, den Abend mit körperlicher Präsenz zu füllen, besonders Anna Keil und Katharina Schmidt gelingen manche schöne Geste, ein spitzbübischer Blick. Manchmal ist es nur ein Zittern der Mundpartie, das ein Gefühl vermittelt. Doch bleiben die Schauspieler letztlich selbst als herumgeschobene Puppen zurück. Mal verpacken rollen sie sich zum fragilen Sperrgut in Luftpolsterfolie ein, schmeißen mit in Alufolie eingerollten Granaten, humpelnd zum Hexen- (oder „Zigeuner“?)-klischee ausstaffiert bettelnd durch die Publikumsreihen. Ob sie den unverständlichen Text dabei ausagieren oder überspielen sollen, bleibt ein Rätsel. Die Überlänge einzelner Szenen erklären sich ebenso wenig. Dass der Abend 30 Minuten länger dauert, als angegebenen, unterstreicht den unfertigen, verzagten Charakter dieser Zumutung in Text und Bild. Dass nur ein Zuschauer vorzeitig flieht, erklärt sich wohl allein aus dem Raumsetting. Die permanente Sichtbarkeit des Publikums bildet die Falle: Man ist lebendig gefangen in einer tot gestellten Theatersituation.