An der Bühnendecke hängt eine schillernde Diskokugel. Rechts und links hängt ein Bühnenvorhang. In der Mitte der Bühne steht eine Darstellerin mit einem Strauß Rosen, den sie hoch hält.

Nichts zum Summen und Bügeln

Stephen Sondheim: Merrily We Roll Along

Theater:Theater Regensburg, Premiere:24.05.2025 (DSE)Vorlage:Merrily We Roll AlongAutor(in) der Vorlage:George S. Kaufman, Moss HartRegie:Sebastian Ritschel Musikalische Leitung:Andreas Kowalewitz Komponist(in):Stephen Sondheim

Intendant Sebastian Ritschel inszeniert am Theater Regensburg Stephen Sondheims weniger bekanntes Musical „Merrily we roll along“ über die Freiheit der Kunst und ihre kapitalistischen Grenzen. Gegenwärtig aktueller denn je, beeindruckt neben dem schillernden Bühnenbild vor allem die Sondheims energiegeladene Musik, die Andreas Kowalewitz gemeinsam mit dem Philharmonischen Orchester gebührend in Szene setzt.

Gerade tobt in den USA eine offene Feldschlacht um die Zukunft überlieferter Werte. Dabei ist die Freiheit von Bildung und Kultur einer der wichtigsten Nebenschauplätze. Weil das so ist, bekommt das Finale in Stephen Sondheims Musical „Merrily we roll along“ über Freundschaft und Künstlertum eine geradezu widerständige Note. Hier treten drei junge Menschen an zum Streit um die Zukunft: „Wir greifen an!“ versprechen sie. Wen?

Das kulturelle, soziale und politische Establishment; die eigenen Eltern sowieso. Ab jetzt, das schwören sie einander, werden sie das Sagen haben und die Richtung bestimmen. Der aufstrebende Musiker Franklin, der ähnlich hochbegabte Autor Charley und die energische, kämpferische Mary, die ebenfalls Schriftstellerin werden will, fürs erste aber im Journalismus landet. Sie alle sind „Babyboomer“ der Kriegs- und Nachkriegszeit. Als sie sich 1960 zum Kampf um die Zukunft rüsten, sind sie in ihren Zwanzigern.

Aktuell im Rückblick

Merrily we roll along“ ist nach einem Kinderlied benannt, das auf dem Folk-Song „Good night, Ladies“ basiert. Komponist Sondheim und Autor George Furth hatten sich zu Beginn der 80er Jahre eine Komödie des Erfolgs-Duos Kaufman & Hart aus den 30er Jahren vorgenommen und sie in die eigene Gegenwart übertragen. Von dort aus wird rückwärts erzählt – und damit immer wieder die Frage gestellt, wie es „dazu“ (oder besser: „soweit“) kommen konnte.

Zu Beginn sind die drei Zukunfts-Beschwörer von früher im Erfolg gelandet: Franklin Shepard ist einer der erfolgreichsten Komponisten im Musical-und Film-Genre. Mary ist nicht mehr nur Theaterkritikerin (und unglücklich in Frank verliebt), sie hat gerade das erste Buch geschrieben. Auch Charley ist erfolgreich, fühlt sich aber längst von der „Frank GmbH“ ignoriert und ausgenutzt. Das verschworene Trio ist eigentlich am Ende. Seit sich der Komponist auf die Dauer-Affäre mit einer sehr exzentrischen Bühnen-Diva eingelassen hat, liegt auch die Ehe in Scherben, die so gut und wichtig war für das Trio der jugendlichen Aufsteiger.

Ein regelrechtes Schmuck-Stück

Die Geschichte ist in jeder Hinsicht besonders, für ein Musical sogar extrem komplex und pointiert. Sondheim hat sie veredelt mit Musik zum Staunen. Dass das Philharmonische Orchester sie in der aktuellen Inszenierung von Sebastian Ritschel in der Schmuck-Schatulle des historischen Regensburger Theaters so spielt, wie sie sie spielt, ist schlicht sensationell. Denn wer da entspannte Gemütlichkeit erwartet (handelsüblich in den meistgespielten Schlachtrössern des unterschätzten Genres), wird hier vom ersten Ton an enttäuscht. In der Orchestrierung von Jonathan Tunick und unter der Leitung von Andreas Kowalewitz nimmt die Musik mit diesem Orchester Fahrt auf wie ein leibhaftige Jazz-Bigband. Die Ouvertüre klingt gar, als wäre sie für eins der Orchester des legendären Stan Kenton arrangiert, der ja immerhin auch Richard Wagner für jazztauglich hielt.

Die Inszenierung des Regensburger Intendanten Ritschel folgt der hitzigen Grund-Energie dieser überwältigend einfallsreichen Musik. Fast immer bleibt das Ensemble-Dutzend präsent auf der Bühne neben den Protagonistinnen und Protagonisten. Kaum merklich dreht die Bühne das Personal herein und hinaus. Wenn es mal privat und sehr persönlich werden soll, stemmt sich aus dem Keller im Bühnenbild von Barbara B. Blaschke und Ritschel selbst ein chic-leeres Breitwand-Zimmer herauf; einziges Möbel: Franks Flügel. Hinter dem Spielraum leuchtet oft eine Wand aus ungezählten Glühbirnen, ein senkrechter Himmel sozusagen. Einmal suchen die drei jungen Kunst-Verschwörer, die die Welt verändern wollen, den Himmel tatsächlich auch nach Wünsche erfüllenden Sternschnuppen ab. So viel Zukunft wie hier ist selten, nur löst sie sich nicht ein. Immer wieder schweben schwarz-glänzende Luftballons über der Szene: als finstres Party-Requisit.

Beeindruckend unbequem

Wann ist das Leben schief gelaufen? Wann sind sie alle „falsch abgebogen“? Im Grunde ist die Antwort einfach: mit jedem Kompromiss von neuem. Eigentlich soll Komponist Frank dem Produzenten Joe (noch verehelicht mit der toxischen Diva, die später Franks Leben zerstören hilft) Songs zum Mitsummen liefern. Musik, die auch zur Begleitung beim Bügeln eingesetzt werden kann. Dadurch steht Frank immer wieder vor Entscheidungen, deren Konsequenzen er nicht überblicken kann. Auch jeder Film-Vertrag –meint jedenfalls Partner Charley- sei nichts als ein fauler Kompromiss. Die Wege der beiden Kunst-Köpfe trennen sich schließlich vor laufender Kamera. Sie haben einander nichts mehr zu sagen. Und auch Mary gibt auf – jetzt, da sie Bücher schreiben und mit Erfolg verkaufen kann.

Den Weg zurück in die träumerische, zukunftsfrohe Jugendzeit trägt Sondheims furiose Musik mit nimmermüder Energie. Und mit Jazz pur, instrumental meisterlich arrangiert. Ohne jeden Kompromiss an den Publikumsgeschmack, für den am Musical-Markt gemeinhin produziert wird: oft nur Dutzendware. Der vor vier Jahren verstorbene Sondheim ist im Vergleich dazu immer ein Unikat gewesen. Hier, in „Merrily we roll along“, intensiver denn je.

Deshalb hat die Show auch überhaupt keinen Ohrwurm. Nicht mal einen melodisch und harmonischen so komplizierten wie Sondheims berühmtester Song, den alle Show-Größen gesungen haben: „Send in the Clowns“. Weil da nichts war zum Summen und Bügeln, ist „Merrily we roll along“ bei der Uraufführung 1981 auch überhaupt kein Erfolg gewesen. Nach Sondheims Tod wiederentdeckt, wäre dem Kunst-Stück jetzt viel Erfolg zu wünschen. Friederike Bauer, Nina Weiß und Fabiana Locke, Felix Rabas und Andreas Bieber, junge Musical-Stars von mitreißender Klasse, sind neben dem Ensemble Garanten dafür, dass sich das Regensburger Publikum nah dran an etwas fühlen darf, was auch am Broadway selbst nicht besser klingen und aussehen könnte: „Standing ovations“ von der ersten Beifallssekunde an. Völlig zu Recht.