Szenenbild aus „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“

Tschüss Gemüs

Saša Stanišić: Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne

Theater:Theater Freiburg, Premiere:09.05.2025 (UA)Regie:Jessica Lause

Saša Stanišićs Erzählungen „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ erlebten am Theater Freiburg ihre Uraufführung. Jessica Glause lässt in ihrer Inszenierung den Text für sich sprechen.

Schon der Titel ist eine Geschichte. Und Geschichten zu erzählen, ist Sasa Stanišićs Leidenschaft. Dabei spielt es keine Rolle, ob seine Adressaten Erwachsene oder Kinder sind. Die Geschichten sind für alle da, sie überwinden Zeiten und verbinden Kulturen. Sie sind skurril und traurig, absurd und sehr fantasiereich. Kann man solche Geschichten auf die Bühne bringen? Jessica Glauses Uraufführung am Theater Freiburg zeigt: Es geht überraschend gut. Das liegt vor allem am Erzählton. Stanišić, der als 1992 Vierzehnjähriger vom Jugoslawien-Krieg nach Heidelberg gespült wurde, liebt das anschauliche Detail. Und er liebt seine Figuren.

Von dieser Liebe ist auch am Kleinen Haus des Theaters, das vor einem Intendantenwechsel steht, einiges zu spüren. Mit ihrem rein weiblichen Team bleibt Glause eng am Text, den sie für sich sprechen lässt. Ihre Inszenierung beschränkt sich auf wenige Requisiten, die immer wieder neu arrangiert werden: Leuchtstäbe, ein Stahlgestell, das nicht von ungefähr an einen Hochsitz erinnert, überdimensionale Memory-Teile, die wie blau angemalte Pizzaschachteln aussehen, eine alte Kinositzbank, ein Schubkarren mit Blumen darin und natürlich auch Gießkannen (Ausstattung: Mai Gogishvili).

Lust an der Verwandlung

Das hat etwas fast kindlich Improvisiertes – und dass in diesem Setting ein kleiner Junge namens Paul Horvath (Henri Gütlein) einen großen Auftritt hat, wundert nicht. Saša Stanišićs gehört zu den Autoren, die Kindern auf Augenhöhe begegnen. Und so gehört die Szene, in der der fabelhafte Mario Fuchs als Georg Horvath seinen Sohn im Piraten-Memory mit einem Trick besiegen will, zu den schönsten der Aufführung. Auch nimmt er ihn wie selbstverständlich zu dem Unternehmen mit, in dem er als Justiziar arbeitet, um seinen Kündigungsbrief abzugeben. Paul liefert ihm die Schlussformel: Tschüss Gemüs.

Dieser quirlige Schauspieler ist der Glücksfall der Inszenierung. Aber auch Martin Hohner, Victor Calero – besonders witzig als Miroslav Klose-Ikone –, Stefanie Mrachacz, Anja Schweitzer und Charlotte Will bewegen sich mit mitreißender Lust an der Verwandlung durch Stanišićs Fantasiereich: In dem steht die Zeit still, damit Dilek, die bei Frau Sehner als Reinigungskraft arbeitet, sich an ihre Jugend im türkischen Dorf Kaleköy und an eine fatale Verspätung erinnern kann; in dem die Witwe Gisela Brunner, die gern Gisel genannt wird, von der Begegnung mit einem Bären träumt; in dem der wunderbare Mo im silbernen Schutzanzug die Tigermücke in Winsen an der Luhe bekämpft und im Wehrmachtsmantel einen Panzer dirigiert, den ihm der Paketdienst auf den Parkplatz vor seinem Haus gestellt hat. Wirklich? Diese Frage ist bei Stanišić verboten.

Gedankenspiel über alternative Lebensmöglichkeiten

Das Ganze könnte episodisch auseinanderfallen, aber es gibt eine Klammer. Im Sommer 1994 träumt der pfiffige Fatih mit seinen mit ihm in Heidelberg abhängenden Freunden von einem Proberaum der Zukunft: Wer sich dort einloggt, kann in sein künftiges Leben schauen und mit diesem Wissen seine Gegenwart ändern, damit die Zukunft besser wird als vorhergesagt. Es ist ein Gedankenspiel über alternative Lebensmöglichkeiten, über die Macht des Musil’schen Möglichkeitssinns – und letztlich über die Kraft der Literatur, im Erzählen von Geschichten so sehr die Widrigkeiten des Alltags zu überwinden, dass auch Heinrich Heine noch einmal vom Exil im revolutionären Frankreich träumen kann. Und das auf der Bühne des Freiburger Theaters.