Foto: Mit Sporttrikot und schnellen Schrittabfolgen wird der Tanzabend gefüllt. © Andreas Etter
Text:Melanie Suchy, am 19. November 2023
Schnell wechselnde Tanzabfolgen prägen die Premiere von „Trailer Park“ am Staatstheater Mainz. Moritz Ostruschnjak inszeniert eine traurige verlorene Welt, die auf das Nachtanzen der Social-Media Branche anspielt.
Mitten im Stück, liegen eine Tänzerin und ein Tänzer auf Dosen, auf aufgestellten Dosen. Ein Balanceakt. Aufgebockt auf Energy-Drinks in scheinbar entspannter Lungerposition, dürfen sie sich nicht rühren. Sonst würde alles kippen. In die Stille und seltsame Starrheit tönt plötzlich „Somewhere over the rainbow“. Die Liegenden singen, Ton für Ton, dann auch im Duett. Es könnte der Versuch sein, in der ansonsten leeren dunkelgrauen Bühne einen Regenbogen aufzuspannen. Da kommt keiner.
Ohne Gedanken an Morgen
Für so ein Lichtphänomen in all seiner Farb- und Formschönheit müsste man in die Weite schauen, in den Himmel. Den gibt’s aber im „Trailer Park“ nicht. Hier richten sich die zehn Bewohnerinnen und Bewohner in einem riesigen kahlen Raum ein, die geriffelte Wand hinten erinnert an Wellblech. Sie richten sich nicht wirklich ein. Sie bauen nichts auf, denken nicht an ein Morgen. Sind nur da oder weg, kommen wieder. Sie sitzen still am Rand, stehen auch mal rum oder fügen sich zum Gruppenbild. Ansonsten laufen sie, rennen sie, tanzen sie, Solos oder jeder und jede für sich in der großen Gruppe oder, später, gemeinsam in Reihen. Doch auch hier schieben sich die Einzelnen nach vorn. Sie produzieren sich.
Einer nach dem anderen tanzen sie ihre Performances während der Rest vom Ensemble abwartet. Foto: Andreas Etter
Sie zeigen auch nicht „sich“ vor, sondern was sie sich angeeignet haben. Was sie aus irgendwelchen Gründen cool und für sich passend fanden: im Internet, auf den Clip-getriebenen Social-Media-Plattformen. Die Bewegungen sind simple oder vertrackte Schrittkombinatiönchen, mit kreuzenden, tippelnden, eng oder breit stehenden Füßen, Beinhochwürfen, roboterhaftem Rucken, pantomimischem Wandabtasten, Seilziehen und Mützeaufsetzen, mit Pirouetten und halben zackigen Wendungen. Dabei führen manchmal die Arme und Hände ein Eigenleben, wellen sich, machen Kanten, lange Linien, wedeln wie Schwanzflossen am Rücken. Die Finger wiederum werden Krallen und Kringel, machen Fäuste und allerlei andere Zeichen in die Luft oder vorm Gesicht oder drücken an den Kopf, zerren am Grimassengesicht, als wollten sie Masken abziehen. Ein paar Wiederholungen bringen die Gesten zum Tanzen. Doch indem so schnell eine der anderen folgt, sie wegwischt, werden sie ganz leer.
Vergänglichkeit in Turnschuhen
Beim Zuschauen muss man sich in der Unkenntlichkeit einrichten, was nicht leichtfällt. Gut so. Es ist geschickt montiert und so gut getanzt, dass man sich von den Tänzern und Tänzerinnen mehr wünscht, was Richtiges, was auch immer das wäre. „Trailer Park“ schürt eben doch eine Sehnsucht nach dem Regenbogen. Stellt sie nur nicht dar, sondern eine im Grunde traurige, verlorene Welt.
Denn woher kommt die Dynamik, was bewegt diese Wesen in ihren von Daniele Bendini gestalteten Sportklamotten mit bunten Logos? Wahrscheinlich der Sog des Vakuums. Der Tanz, der sich stets nach vorne richtet, zum Publikum hin, aber ohne es zu reizen, ohne doll zu imponieren, bleibt in der Dose. Kühl, wie das Licht durch den leichten Nebel, mit dem Tanja Rühl das Geschehen subtil strukturiert.
Ostruschnjak hatte die Tänzer selber Material aus den Social Media klauben lassen und dem Ganzen dann diese fliehende Form gegeben, die am Schluss konsequenterweise einfach aufhört. Mitten im Gestöber hört sie auf, als der allergefühlvollste Queen-Gesang „Do you want to live forever“ die letzte Silbe ins Unendliche dehnt.
Das Aneignen, Nachtanzen, das die Internet-Kanäle der Gigantenfirmen am Laufen hält, bringt „Trailer Park“ zurück in fast anfassbare, mühevoll trainierte Körper. Die Theaterbühne setzt es in den Kontext einer bestimmten Kulturgeschichte, ohne eine irgendwie geartete Unschuld zu behaupten. Kritik (und Spaß) an Werbung und Vermarkten ist zwar ein alter Hut auch im Tanz, aber Ostruschnjak verpasst ihm zeitgemäße Blechanstecker. Was ist schon echt oder unkaputtbar.