Zombie-Party mit Mona Sumaia Rode, Marlene Goksch und Lilly Gropper.

Sie wollen doch nur spielen!

To Doan und Julienne De Muirier: Franken­stein nach Motiven von Mary Shelley

Theater:Theater Lübeck, Premiere:11.02.2023 (UA)Vorlage:Frankenstein oder Der moderne Prometheus,Autor(in) der Vorlage:Mary ShelleyRegie:Babett Grube

Wenn man im Programmheft zur neuen Lübecker „Frankenstein“-Produktion den Einleitungstext liest, mit dem die Autorin To Doan die Notwendigkeit einer „intersektionalen und queer-feministischen“ Überschreibung von Mary Shelleys Schauerroman begründet, wird einem erstmal angst und bange: Droht einem da womöglich eine Gardinenpredigt in Sachen politischer LGBTIQ-Korrektheit? Nach den ersten paar Szenen fragt man sich dann allerdings ganz im Gegenteil, ob der Abend überhaupt ein Thema finden wird. Alsbald aber ertappt man sich bei der Selbstbeobachtung: Huch, das macht ja richtig Spaß! Und man fasst Zutrauen: Die wollen ja nur spielen. Und spielen, das können diese fünf Frauen – in der Regie von Babett Grube, auf der Bühne von Lan Anh Pam und in den Kostümen von Hanne Lauch – richtig gut.

Wandel, na klar, warum nicht?

„Frankenstein von Mary Shelley in einer Überschreibung von Ta Doan und Julienne De Muirier“ – so lautet etwas umständlich der Titel des Abends, wobei selbst der dehnbare Modebegriff der „Überschreibung“ die Beziehung zu dem berühmten Schauerroman eigentlich eher überstrapaziert, denn letzterer spielt für den Abend nur indirekt eine Rolle. Es beginnt mit viel Bühnennebel, aus dem heraus die Schauspielerin Marlene Goksch, zurechtgemacht wie ein steifgliedriger Android, nach vorne stakst und den Wandel als Essenz des Lebens preist. Okay, denkt man da: Wandel, na klar, warum nicht? Dann erstürmen fünf ziemlich karnevalesk aufgemachte Frauen – obwohl, da müssen wir jetzt vorsichtig sein, von wegen trans und cis und so, aber der Stimmlage nach kommt das mit den Frauen ungefähr hin – jedenfalls stürmen die fünf die Bühne und gebärden sich als Familie Fankenstein, die Omas neue Wohnungseinrichtung bewundert. Da denkt man, wenn überhaupt, dann an die Munsters oder die Addams Family. Und wenn schließlich zu den Dudelsack-Klängen von Roger Whittakers Bruderzwist-Schnulze „Albany“ die „Zombie-Party“ ausgerufen wird: spätestens dann wird einem klar, dass das an diesem Abend auch genau die richtige Rezeptionshaltung ist. Jedenfalls für den Anfang.

„Ich habe meine Tage, ich will Fleisch!“

Denn erstmal wird drauflos theatert, dass die Bretter krachen: bizarr bis zum Nonsens, aufgeladen mit politisch korrektem Schwurbel: postkolonialistisch, postfeministisch, postgenderistisch, postdramatisch, postkommunikativ, postinterpretatorisch – und postpolitischkorrekt: „Ich habe meine Tage, ich will Fleisch!“ Da geht die Post ab, aber richtig! Wenn das Publikum dabei so begeistert mitgeht, fragt man sich allerdings manchmal, ob nicht auch gescheiterte Provokation mit ihm Spiel ist. Aber egal, denn Marlene Goksch, Lilly Gropper, Susanne Höhne, Lucia Peraza Rios und Mona Sumaia Rode machen das grandios: Lucia Peraza Rios legt einen furiosen Ausflug ins Publikum hin, Monia Sumaia Rode schwört Rache an allen, die sie als Abschaum ausgeschlossen haben, Lilly Gropper gedenkt der Einsamkeit des Monsters. Damit findet diese Show dann doch noch zu verhaltenen Tönen und damit zu einem thematischen Kern. Man ahnt, dass vieles von alledem in spielerischer Improvisation entwickelt wurde und dass es gerade deshalb von den Frauen so stark herüberkommt.

Dass das Theater Lübeck diese Show im Großen Haus präsentiert, zeugt vom Mut des neuen Schauspieldirektors Malte C. Lachmann. Der wurde zumindest insoweit belohnt, als die Premiere zwar längst nicht ausverkauft war, das anwesende Publikum aber überwiegend begeistert reagierte, bei den Schluss-Ovationen sogar standing and cheering. Babett Grube war da nur per Tablet zugeschaltet, das Lan Anh Pham in Händen hielt; sie musste in der letzten Woche aufgrund eines Infekts per Video Regie führen. Was aber offenbar prima funktioniert hat.