Doch Steier überlagert diesen typologischen Gegensatz mit Marginalideen, die mehr Verwirrung als Klarheit schaffen: Da wird die moralische Strenge der Kleinstadtgesellschaft demaskiert als Fassade hemmungsloser Promiskuität, wo jeder es mit jedem treibt, und wo offenbar auch jeder weiß, dass „es“ alle mit allen machen; sogar der Pope ist mit von der lüsternen Partie. Doch wenn der Hang zum Laster so allgegenwärtig ist: wieso ist dann ausgerechnet für Kátja der moralische Rigorismus verbindlich? Einerseits stilisiert Steier die Figuren in einer fast stummfilmhaften Zuspitzung, so dass man ahnt, wie viel Satire in Janáceks pittoresken Russland-Bildern stecken könnte; doch andererseits versickert die Stilisierung immer wieder in vollkommen realistischen, breit ausgepinselten Sitten- (oder Unsitten-)Gemälden mit den dazu passenden Kostümen von Ursula Kudrna. Und ob es wirklich hilft, dass Kátja hier ein Töchterchen hat, das daran leidet, dass ihre Mutter selbst sich wie ein unreifes Kind benimmt? Statt ein Thema, Kátjas Dressur zu puppenhaft lebensferner Infantilität, wirklich zu entwickeln, kommen sich die Deutungsansätze in die Quere. Und Kátjas Charakter bleibt ungreifbar zwischen Sozialsatire, Genrerealismus, Familienaufstellung und Individualpsychologie.
In einem insgesamt durchaus beachtlich besetzten Ensemble kommen die Vavara und der Kudrjasch vokal am überzeugendsten zur Geltung. Stefanie Schäfer singt mit einem klar fokussierten, bronzestrahlenden, stets schlanken und einfühlsam geführten Mezzo. Und auch Michael Pegher trifft jenen typischen Janácek-Ton aus Ausdruckskraft und deklamatorischer Klarheit recht gut, der schon expressiv sein, aber nicht zu dick werden darf. Während Valéry Suty ihrer Titelheldin und auch Daniel Ohlmann ihrem Geliebten Boris zu viel wabernde Große-Oper-Dramatik mit ins Bühnenleben geben und ebenso Jayne Casselman die Kabanicha eher ausladend als scharf zeichnet. Daran hat auch der Dirigent Thomas Dorsch gewissen Anteil, der den Orchestersatz zwar äußerst plastisch und spannungsgeladen, aber oft auch recht laut gestaltet und so zu selten jene impressionistisch schillernden Klänge findet, die doch auch zu Janáceks Idiom gehören. Am Ende viel Beifall für alle Beteiligten und für einen Opernabend, der dem Publikum trotz der genannten konzeptionellen Einwände szenisch intensiv ausgearbeitete, effektvolle Bilder verhängnishafter Düsternis bietet.