Eine Person schreitet durch eine im Spalier stehende Gruppe von der Kamera weg. Das Tanz-Ensemble wedelt hält zu Kreisen gebogene schwarze Stäbe in den Händen.

Tanz mit Objekten

Sidi Larbi Cherkaoui, Imre van Opstal, Marne van Opstal: Vice Versa

Theater:Semperoper Dresden, Premiere:28.06.2025 (UA)Regie:Stephan Laks, Imre van Opstal, Marne van OpstalMusikalische Leitung:Charlotte PolitiKomponist(in):Szymon Brzóska, Arvo Pärt

Die Semper Oper in Dresden bietet ihrem Publikum mit „Vice Versa“ einen Tanzabend, der unter anderem durch seine Requisiten und Bühnengestaltung im Gedächtnis bleibt. Neben dem herausragenden Ensemble stehen bei „November“ von Imre und Marne van Opstal und „Noetic“ von Sidi Larbi Cherkaoui eine übergroße Folie und diverse biegsame schwarze Stäbe im Rampenlicht. 

Flexible Polycarbonatstäbe und eine flirrende Folie, das sind die Kernelemente des Doppelabends „Vice Versa“, der jetzt mit dem Semperoper Ballett in Dresden Premiere feierte. Der zweite Teil „November“ von den Geschwistern Imre und Marne van Opstal ist gar eine Uraufführung. Während draußen die Temperaturen den Hochsommer verkünden, entführen die beiden Niederländer:innen ihr Publikum in die dunkle Tristheit des Herbstes. Dreh- und Angelpunkt ist eine große, schillernde Folie, die am Anfang in genüsslicher Langsamkeit zu Musik von Arvo Pärt und in einem Licht, das Aquariumsatmosphäre erzeugt, in den Bühnenhimmel gezogen wird. Dort dreht sie sich über den Abend, teilt die Bühne mal in zwei Hälften. Sie wird gefühlvoll von der Windmaschine bewegt oder in einem wohldosierten Wetterleuchten illuminiert.

Immer mit der Ruhe

Auch auf der Bühne dominiert über weite Strecken eben jene genüsslich Langsamkeit. Das Ensemble sitzt zu Beginn bereits in hautfarbenen Trikots auf dem Boden verteilt, setzt immer wieder zu kleinen Formationen an. Dabei lässt es sich von den ruhigen Klängen der Musik nur allzu sehr tragen, manchmal gar in Slow Motion oder hin zu kleinen Freezes. Die Choreografie ergibt sich der Musik und bebildert sie lediglich in fast schon klassischen modernen Ballettformationen. So werden die 45 Minuten des melancholischen Novembers doch mitunter sehr lang.

Tänzer:innen sitzen symmetrisch aufgereiht auf dem Boden und strecken die Beine wie bei einer Bauchmuskelübung von sich. Über der Gruppe schwebt eine Folie.

Das Ensemble tanzt unterhalb einer übergroßen Folie. Foto: Admill Kuyler

Lediglich bei den größeren Nummern, an denen oft das ganze Ensemble beteiligt ist, kommt der Abend etwas in Fahrt. In einer Szene agieren links und rechts der Folie zwei Gruppen nebeneinander wie bei einem Battle ohne Sicht, während die Folie mal zur einen, mal zur anderen Seite tendiert. Einmal liegt das gesamte Ensemble am Boden unter der Folie, um sich dann in sich aufbauenden Bewegungswellen, die durch den Kollektivkörper wandern, langsam wieder aufzurichten. Am Ende dann nochmal ein Aufbäumen in einem wirklich gelungenen Pas de Deux von James Kirby Rogers und Nastazia Philippou nach 45 Minuten. Die beiden umtanzen einander gekonnt, setzen schöne Gesten. Da geht er etwa vor ihr zu Boden, um ihren nackten Fuß zu ergreifen, um sie schließlich in großer Pose nach oben zu heben. Da ist der Herbst dann vorbei.

Jede Bewegung sitzt

Den Start in den Abend macht „Noetic“ von Sidi Larbi Cherkaoui, das 2014 in Göteborg uraufgeführt wurde. Nun wird es unter der choreografischen Einstudierung von Stephan Laks auf die Bretter der Semperoper gebracht. Das Stück erkundet choreografisch Naturphänomene auf ihre mathematische Konsistenz. Das klingt abstrakt und ist es auch, aber Cherkaouis Herangehenweise erschließt sich im Laufe des Stücks. Da gleitet eine Tänzerin – alle tragen schwarz-glänzenden Rock mit Top, die Herren Hemd, Hose und Westen – durch die liegenden Tänzer:innen, die sich wegbewegen, als wären sie magnetisch abgestoßen. Oder ein Tänzer schreitet mit High-Heels durch die Mittanzenden. Jede Pose, jeder durchgedrückte Rücken sitzt in jedem Moment. Alle Tanzenden müssen zu jedem Moment voll da sein, denn gerade das Zusammenspiel dieser Details macht die Faszination aus. Das Dresdner Ballett zeigt dabei keine Schwierigkeiten Cherkaouis Körpersprache zu der eigenen zu machen.

Das Ensemble steht hintereinander in einer Reihe und bewegt große Stabbögen in kreisenden Bewegungen.

Das Ensemble bewegt die Stabbögen in Formation. Foto: Admill Kuyler

Dann kommen die mindestens drei Meter langen schwarzen Stäbe ins Spiel, die wie übergroße wackelnde Elemente daherkommen, wie man sie von Campingzelten kennt. Es entsteht eine akribische Wuseligkeit. Muss doch jede der Stangen an den richtigen Ort platziert werden, möglichst ohne die Mittanzenden zu touchieren. Erst werden sie als rechtwinklige Muster auf dem Boden verteilt, dann zusammengesteckt zu großen Bögen und schließlich zu einer Kugel gebaut. Dabei erklären zwei Tanzende den Zusammenhang zwischen Mathematik und Naturphänomenen, und auf einmal bekommt etwa der getanzte Magnetismus einen Sinn.

Einfache Schönheit

Nicht alles geht auf, zu zahlreich sind die großen und kleinen Bilder. Doch zelebriert das Stück die Entdeckung einer Ordnung des Kosmos mit immer komplexeren Stabkonstruktionen, aber auch in Details wie dem Auftauchen von Anzugjacken und Schuhen. Die Zivilisation in Form der mathematischen Erkenntnis bändigt nicht die Natur, aber bringt ein Verständnis von fraktaler Ordnung hervor, dass die wilden Phänomene rational begreifbar macht und so die einfache Schönheit der Mechanismen entblättert, die hinter der Wildheit steckt.

Besondere Verstärkung erhält die Produktion dabei von der Sängerin Miriam Andersén, die mit lateinischen Liedern die Staatskapelle unter der Leitung von Charlotte Politi (in beiden Teilen) wie ein weiteres Instrument unterstützt. Ein weiterer musikalischer Part liegt bei Shogo Yoshii, der mit Taiko, Koyku und Flöte die ganz besonderen Töne dieser Musik von Szymon Brzóska einbringt und damit klare Akzente setzt.