"7/Das neue Jerusalem" der litauischen Autorin Arna Aley.

Sex und Gewalt im Täuferreich

Arna Aley: Das neue Jerusalem

Theater:Wolfgang Borchert Theater, Premiere:18.05.2017 (UA)Regie:Meinhard Zanger

Meinhard Zanger inszeniert Arna Aleys „Das neue Jerusalem“ am Wolfgang Borchert Theater in Münster.

„Keiner steht über mir“, prahlt der bärtige Jan van Leiden (Florian Bender) und plant schon den Hofstaat für sein Täuferreich. Ein „neues Jerusalem“ will der Holländer in Münster errichten und wendet sich damit gegen die einflussreichen Mächte von Klerus und Adel. Man schreibt das Jahr 1534: Die Reformation ist im vollen Gange, doch van Leiden ist der religiöse Umbruch nicht genug. Der Glaube spielt hier ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Es geht um Macht und Eitelkeit, da steht der Widertäufer seinem Gegenspieler, Bischof Franz von Waldeck, um nichts nach.  

Das Wolfgang Borchert Theater nimmt das 500. Reformationsjubiläum zum Anlass, einen dunklen Punkt in der Geschichte Westfalens zu beleuchten, der noch immer sehr präsent ist. Bis heute zeugen die drei Käfige an Münsters Lamberti-Kirche vom grausamen Ende van Leidens und seiner Verbündeten. Arna Aleys Auftragswerk „Das neue Jerusalem“ wirft einen satirischen Blick auf die finstere Historie. Unter der Regie von Theater-Intendant Meinhard Zanger kommt ein zeitloses Drama um religiösen Extremismus auf die Bühne.

Darko Petrovics Bühne mit den halbrunden, hellen Treppen sieht aus wie eine Arena aus dem alten Griechenland, die Kulisse birgt Ornamente von Münsters Rathaus. Van Leidens Wiedertäufer-Gemeinde, die bald eingekesselt und hungernd vor sich hinvegetiert, weckt schon rein optisch Assoziationen an eine Sekte: sämtliche Figuren sind weiß geschminkt oder verbergen sich hinter Masken und tragen schlichte, weiße Einheitskleidung. Die Führungsriege um den Täuferkönig tritt in schwarzen Anzügen auf, die nur in Details mittelalterlich wirken. Um individuelle Charakterzeichnung scheint es Zanger in seiner Inszenierung kaum zu gehen. Ideale und Visionen bleiben im Werbeslogan „DWWF“ stecken, auf flapsige Art wird hier das Bibelzitat „Im Anfang war das Wort…“ bemüht. Umso wichtiger als Bibelexegese ist van Leiden ohnehin die Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Die so genannte Vielweiberei zieht sich wie ein roter Faden durch das Stück. Zwischen Kanonendonner und Schwerthieben soll Eros die Massen bewegen, der charismatische van Leiden erweist sich bald als abgebrühter Diktator, dem nur sein eigenes Wort heilig ist. Wer Widerspruch wagt, spielt mit dem Leben. Köpfe rollen, Blut strömt als Projektion über die Kulisse. Mal wirkt das Drama wie ein Splatter-Movie, mal werden Bücher verbrannt wie zur NS-Zeit. Wenn vom „heiligen Krieg“ die Rede ist, steht plötzlich der IS im Raum.

Nach der Pause setzt sich mehr und mehr die Satire durch. Auf sexuelle Orgien, Völlerei und Gaukelspiel hätte man zugunsten psychologischer Figurenzeichnung gerne verzichtet. Florian Bender kann als charismatische Führerfigur nur bedingt überzeugen, Jürgen Lorenzen, alias Bernd Knipperdolling, lässt sich vom Schwert seines Führers allzu schnell einschüchtern. Prägnanter wirken Figuren wie Schmied Mollenheck (Heiko Grosche) oder Elisabeth (Hannah Sieh), die den Aufstand wagen, wenn sie Mitmenschlichkeit und Liebe in den Blickpunkt rücken. Großartig ist Monika Hess-Zanger als Bischof Franz von Waldeck, wenn sie gegen Gott und Gemeinde ätzt, während neben ihr auf dem Boden Vergewaltigungsopfer Anna (überzeugend: Alice Zikeli) autistisch hin und her schaukelt. Doppel-Moral und Klischees rund um das Kirchenoberhaupt sind hier derart übersteigert dargestellt, dass es schon wieder komisch wirkt. Gelungene Effekte und atmosphärisch dichte Bilder verleihen dem Theaterabend trotz seiner schweren Thematik etwas Unterhaltsames, und das ist auch eine Kunst.