Aber so etwas tut Mann einfach nicht: Strauss blähte ein Jahr früher stattgefundenes Missverständnis-Malheur zum Fast-Ehesprengstoff auf. Nach zwei Stunden mit musikdramatischer Darstellung von paradoxen und nervenaufreibenden Kommunikationsstrategien durch Christine gibt diese in der Komödie klein bei. Strauss‘ Duett-Apotheose gerät zu einer Variante von „Der Widerspenstigen Zähmung“: Der generös-joviale Ehemann verzeiht mit sanftem, aber kompromisslosem Druck. Alles ist gut und alle Vorurteile gegen Pauline Strauss bestätigt.
Zeitverschiebung
An der Deutschen Oper Berlin hatte Tobias Kratzer im Frühjahr 2024 den komplizierten Plot in die Gegenwart verlegt und das Ende als bitterbösen Erniedrigungsakt an der Frau dargestellt: Das war vollauf korrekt gemäß den normativen Rollenmustern von 1924, aber vollkommen illegitim für eine Zivilgesellschaft 2024. In Berlin wie in Dresden gestaltet Maria Bengtsson die Partie der Christine souverän. Dabei vollzieht sie einen polaren Wechsel des Blickwinkels auf die von Strauss mit rauer Schale und weichem Kern modellierte Figur.
In Dresden wirkten Bengtssons Tiraden im langen Eingangsgeplänkel wie aus der Defensive und das Finale harmonisch – oder wenigstens wie ein Waffenstillstand im Rosenkrieg mit echten Seelenwunden. Christoph Pohl gestaltete Ehemann Robert mit Sympathie, Wärme und sonorem Charisma. Er zeigte aber auch, dass in Strauss‘ Selbstporträt eine gelassen-herablassende und durchaus zur Wut reizende Grandezza steckt.
Paradoxer Beziehungskampf
Axel Ranischs Inszenierung widmet sich auf der mit wenigen Möbeln auskommenden Bühnenschräge von Saskia Wunsch akribisch und emotional den – das kann bei seiner Ernsthaftigkeit nicht anders sein – paradoxen Knirschpunkten des Paarkampfes. Alfred Mayerhofers Frauenkostüme zwischen spätem Art Déco und Charleston-Mania sind dazu eine Augenweide. Ranischs Coup: Das Ehepaar Strauss wohnt dem Ehekrieg in der Oper als Gäste von deren Uraufführung bei. Mienenspiel und Emotionsexplosionen sieht man als Parallelhandlung (Video: Falko Herold, Kameramann: Manuel Ruge). Ranisch zeigt mit liebevollem Hauptaugenmerk, wie es der ‚realen‘ Pauline bei der Uraufführung ging.
Echt dreckig! Katharina Pittelkow stürzt als Pauline ins Foyer, schüttet Sektreste hinunter und beginnt den verzweifelten Flirt mit einem hübschen Unbekannten. Die Versöhnung mit dem Komponisten-Gatten ist auch eine physische. Kurz vor Schluss sitzen Pauline und Richard Strauss (Erik Brünner) etwas derangiert, aber mit heiterer Erschöpfung wieder in der Mittelloge. Ranischs Spielleitung der vom Sängerensemble dargestellten Haupthandlung bleibt gerade noch im Rahmen einer Konversationskomödie: kapriziös und bewusst flach beim Umgang Christines mit der Hausperle Anna (souverän: Ute Selbig), burlesk und mit etwas nackter Haut beim Christine eine Spur zu sympathisch einseifenden Baron Lummer (James Ley mit feinen Stimm- und Flirt-Farben).
Strauss‘ Opernfrauenbilder
Auf „bürgerliche Komödie“ macht Ranisch auch, indem er die Feydeau-haften Seitensprung-Initiativen als Selbsttherapie gegen Alltagsmonotonie zeigt. Der Ländler beim „Grundlseewirt“ wird fast zum Cancan-Exzess (Choreographie: Michael Tucker). Über allem steht aber die Opernkunst. Sieben von Strauss‘ bizarren und utopischen Opernfrauenbildern erscheinen wie weitere Pauline-Doubles: Salome mit dem Prophetenhaupt, Elektra mit Rachebeil, die schöne Helena mit Trojas Helden in Reih und Glied. Klar wird: Die piesackende Pauline war Richards Impulsmotor für Erfolge mit vollen Häusern und vollen Kassen. Auch das Dresdner Premierenpublikum jubelte fast eine Viertelstunde.
Die sächsische Staatskapelle ist das seit hundert Jahren mit allen Straussschen Opernpartituren vertraute Spezialensemble: Ein Operntraum! Patrick Hahn redet nicht nur von der komplizierten Kleinteiligkeit der „Intermezzo“-Partitur, sondern macht diese am Pult auch hörbar. Überdies schafft Hahn es, dass im größten Klangrausch weder Christoph Pohl und schon gar nicht Maria Bengtsson in der neben Salome und Lulu sträflich bagatellisierten Paradepartie die Puste ausgehen. Ranischs und Kratzers Auseinandersetzungen mit „Intermezzo“ zeigen, was für ein kompliziertes Beschäftigungsobjekt diese ‚Nervenkomödie‘ ist. Man sollte unbedingt beide Inszenierungen sehen!