Szene aus "Pique Dame"

Männliches Scheitern und weibliche Emanzipation

Pjotr I. Tschaikowsky: Pique Dame

Theater:Semperoper, Premiere:01.07.2023Vorlage:nach der gleichnamigen ErzählungAutor(in) der Vorlage:Alexander PuschkinRegie:Andreas DresenMusikalische Leitung:Mikhail Tatarnikov

Hermann hofft seine geringes gesellschaftliches Ansehen und Vermögen mit Glücksspiel zu vermehren. So will er auch Lisa beeindrucken, die das eher kalt lässt. Die Inszenierung von Tschaikowskys „Pique Dame“ an der Semperoper Dresden erzählt eine klare Emanzipationsgeschichte.

Wenn Könige und Fürsten aberwitzige Summen beim Kartenspiel verloren, demonstrierten sie aller Welt die Unerschöpflichkeit ihrer Ressourcen. Der Adel tat es ihnen nach. Gustave Dorés berühmte Karikatur beispielsweise zeigt russische Aristokraten am Spieltisch. Statt Geld setzen sie dort ganze Bündel von Leibeigenen. Doch Karten und Roulette kommt andererseits ein gleichmacherisches Moment zu. Für die Einsätze am Spieltisch mag der bedeutende Name über Kredit verfügen, mindestens ebenso willkommen ist aber, wer über liquide Mittel verfügt. Im ungünstigsten Fall muss das Spiel selbst sie generieren. Wer auf solche Art der Geldvermehrung angewiesen ist, betreibt Hasard. Das zeigt sich auch in der Oper „Pique Dame“ von Tschaikowsky an der Semperoper Dresden.

Oper über Glück und Verhängnis

Regisseur Andreas Dresen lässt den bürgerlichen und wenig solventen Hermann sich in den Wahn, dass Glück im Spiel ihm den sozialen Aufstieg und die Ehe mit der adligen Lisa verschaffen werde, exaltiert und krankhaft verbohren. Freilich erlaubt die prekäre finanzielle Situation und gesellschaftliche Stellung unter den überwiegend adligen Kameraden im Offizierskorps keine andere Möglichkeit des Avancements. Notwendig in des Wortes ureigenster Bedeutung muss der Außenseiter sein Lebensglück auf eine Karte setzen. Dass dabei die Nerven blank liegen und die psychischen samt moralischen Sicherungen durchknallen, ist für Dresen folgerichtig.

Lisa zeigt sich wenig beeindruckt vom Aufstiegswillen des Außenseiters. Vielmehr repräsentiert er für sie das Ganz-Andere jenseits der Standesschranken und ökonomischen Zwänge. Das ist nicht frei von Backfischhaftem und Pensionatsfantasien. Noch die Bereitschaft zur Flucht mit dem Geliebten mag dem entspringen. Am Newa-Ufer streift Lisa die Selbsttäuschungen ab: Sie begreift Hermann als den skrupellosen Hasardeur, zu dem er geworden ist. Für Dresen gelangt mit dieser Einsicht ihre Emanzipationsgeschichte zugleich vom gewohnten Standesdünkel wie auch vom spielsüchtigen Außenseiter zum vorläufigen Höhepunkt. Grund genug, Lisas Selbsttötung nicht hinzunehmen. Final fällt daher ihr tröstender Blick als der einer ebenso starken wie empathischen Frau auf den sterbenden Hermann.

Rotierende Segmente konzentrischer Zylinder, die Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau auf die Bühne stellt, mögen das seelische Labyrinth andeuten, in dem Hermann sich verirrt und zugrunde geht. Bühnenpraktisch erlauben sie den raschen Auftritt und Abgang großer Menschenmengen für Promenade, Ball und Spielcasino. Kostümdesignerin Judith Adam uniformiert die Gesellschaft auch jenseits des Militärs. Kinder, Gouvernanten, höhere Töchter und weibliche samt männlicher Ballgäste, sie alle unterwerfen sich totalitären und paramilitärischen Bekleidungsvorschriften. Lediglich die Gräfin erlaubt sich farbintensive Lizenzen. Lisa bevorzugt apart-schlichte Eleganz.

Vokale Hochspannung in Dresden

Auch musikalisch gewinnt die Dresdner „Pique Dame“. Spielfreudig und klangschön präsentiert sich der von Claudia Sebastian-Bertsch einstudierte Kinderchor der Semperoper. Der Sächsische Staatsopernchor unter André Kellinghaus beweist dramatische Verve und Durchschlagskraft. Aus dem Graben lässt es Mikhail Tatarnikov mit der Sächsischen Staatskapelle anfänglich allzu heftig wagnern, delikat hingegen die Allusionen an Mozart und Grétry. Mutig gibt sich Sergey Polyakov spielend und vokal dem Gequälten, der Gehetztheit und ungesunden Emphase Hermanns hin. Für Lisa verfügt Vida Miknevičiūtė über eine stimmliche Skala, auf der jugendliche Ausbruchsfantasien zu blühender Lyrik und schlussendlich emanzipativer Entschlossenheit empor wachsen.

Überwältigende, ebenso dämonische wie gefährliche Bühnenpräsenz zeichnet die Gräfin der Evelyn Herlitzius aus. Tod und Verhängnis selbst scheinen am Werk. Christoph Pohl gibt einen hochnoblen Fürsten Jelezkij. Der Graf Tomskij verkörpernde John Lundgren lässt seine Stimme als belegt ansagen. Alle weiteren Solistinnen und Solisten verbinden sich zur geschlossenen Ensembleleistung.