Foto: Larissa Wäspy und Kady Evanyshyn in "Fucking Åmål" an der Hamburgischen Staatsoper © Hans Jörg Michel
Text:Sören Ingwersen, am 22. Januar 2022
„Macht Platz, wir haben jetzt Lust zu Vögeln!“ – Mit diesem Satz endet die Jugendoper „Fucking Åmål – Unser kleines Scheißkaff“ des australischen Komponisten Samuel Penderbayne nach Lukas Moodyssons gleichnamigem Kinohit aus dem Jahr 1998. Diesen Satz müssen Elin und Agnes sich hart erkämpfen, denn in der schwedischen Kleinstadt Åmål ist lesbische Liebe ein Tabu.
Für die Uraufführung auf der Probebühne der Hamburgischen Staatsoper hat Bühnenbildner David Hohmann zwei Jugendzimmer auf einem Drehgestell entworfen. Links streiten Elin und ihre Schwester Jessica über Schokomilch und versuchen, ihren adoleszenten Hormonhaushalt in den Griff zu bekommen. Rechts wartet Außenseiterin Agnes auf ihre Geburtstagsgäste. Elin und Jessica sind schließlich die einzigen und erlauben sich einen bösen Scherz: Durch einen heimlichen Blick in Agnes’ Tagebuch erfahren die Schwestern von Agnes’ großen Gefühlen für Elin und wetten darum, ob Elin sich traut, ihre Verehrerin zu küssen. Elin gewinnt, aber Agnes fühlt sich durch dieses Spiel zutiefst verletzt. Zumal Elin später eine Scheinbeziehung mit Johan eingeht, weil sie Angst hat, sich als Lesbe zu outen.
Penderbaynes knackige, 90-minütige Oper, mit der die Reihe „opera piccola“ 20-jähriges Jubiläum feiert, bietet einen straffen Handlungsstrang, klar umrissene Figuren, die Regisseur Alexander Riemenschneider teils karikierend überzeichnet, und eine Musik, die zeitgenössische Kompositionstechniken mit populären Idiomen zu versöhnen versucht, dabei aber gelegentlich übers Ziel hinausschießt. So klingt das Eröffnungsstück, bei dem die rund 20 Sängerinnen und Sänger des The Young ClassiX Ensembles sich – leider mit Corona-Masken – gleich auf der Höhe ihres Könnens zeigen, eher wie der Auftakt zu einem Monumentalfilm als zu einer sensiblen Coming-of-Age-Geschichte. Später jedoch droht, wenn Agnes ihre Unsichtbarkeit gegenüber Elin beklagt, der hohe emotionale Gehalt der Szene auf einer stromlinienförmigen Musicalmentalität auszugleiten.
Starke Ensembleleistung
Das aber sind Ausnahmen an einem Abend, der vor allem von seinen acht tollen Sängerinnen und Sängern lebt. Sechs von ihnen sind Mitglieder des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Hamburg: Als mädchenhaft trotzige Agnes verleiht Kady Evanyshyn mit ihrem Mezzosopran einer verletzten Seele Glanz, während Larissa Wäspy und Ida Aldrian als streitsüchtiges Geschwisterpaar Elin und Jessica vollauf überzeugen. In seiner fürsorglichen Hilflosigkeit immer stramm neben der Spur hat Agens Vater Olof in Peter Galliard seinen idealen Sängerdarsteller gefunden und auch Nicholas Mogg und Hubert Kowalczyk sind als ungleiche Kumpels Johan und Markus ein schönes Komikerduo: der eine händeringend verklemmt, der andere mit sprühendem Testosteronüberschuss.
Mit einem mitreißenden Überschuss an Energie begleitet auch das von Ingmar Beck geleitete rund 30-köpfige Ensemble, bestehend aus Mitgliedern des Philharmonischen Staatsorchesters und des Felix Mendelssohn Jugendorchesters, das von Video-Künstler Philipp Kronenberg mit projizierten Live-Illustrationen garnierte Bühnengeschehen. Am Ende stürmen Elin und Agnes aus der Schultoilette, um sich zu outen. Ein Moment der Befreiung – auch weil hier endlich mal ein Musiktheaterstück für die bisher sträflich vernachlässige Altersgruppe der 14- bis 18-Jährigen entstanden ist.