Szene aus "König Tiresias"

Schuldgefühle und Schweigen

Nach Sophokles: König Teiresias

Theater:Theater Basel, Vorlage:König ÖdipusRegie:Leonie Böhm

In der griechischen Mythologie ist Teiresias ein Priester, kein König. Sehertum und Herrschaft schließen sich seit jeher aus. Die Tragödie, die Leonie Böhms neuer Inszenierung am Theater Basel zu Grunde liegt, ist „König Ödipus“ von Sophokles. Das könnte für Verwirrung sorgen. Aber es ist wohl programmatisch gemeint: Im Titel „König Teiresias“ werden die beiden Figuren, auf die Böhm ihre Lesart der Tragödie einzig stützt, zusammengespannt: Es ist eine Handlungsanweisung, keine inhaltliche Aussage. Ödipus und Teiresias sollen sich nicht – wie im Mythos – feindlich, sondern freundlich gegenüberstehen.

Und so geht es auch los mit Gala Othero Winter, der Königin Ödipus, und Jörg Pohl, dem Teiresias. Sie stehen mit luftigen Togen und helmartigen Perücken auf der in Nebelschwaden getauchten leeren Bühne neben der in einen zitronengelben Overall mit weiter Unterleibsöffnung steckenden Musikerin Fritzi Ernst (Kostüme: Helen Stein und Lena Schön). Noch einen Schluck Wasser aus der Plastikflasche trinken. Befindlichkeitscheck: Auf einer Skala von 1 bis 10, wie fühlt man sich? Die Frage wird ans Publikum weitergegeben. Gala Othero Winter kämpft sich durch die Reihen des Schauspielhauses, Antworten sind nicht vernehmlich. Am Ende ist man bei vier, eher noch drei. Die Stimmung groovt sich langsam auf jenes Unglück ein, das der Tragödie des Sophokles den Ausgang gibt: In Theben wütet die Pest – und wer ist schuld daran? Im Mythos ist der Fall klar, doch Leonie Böhm ist ja bekannt dafür, dass sie kanonische Texte laut Selbstaussage zerstückelt und wieder neu zusammensetzt. Das hat sie mit „Medea“ schon getan, mit „Faust“ und Schillers „Räubern“, aus denen sie „Räuberinnen“ gemacht hat.

Gibt es Hoffnung?

Nun also: Königin Ödipus meint, sie sei verantwortlich für alles Leid der Welt und will dieselbe retten. Irgendwie. Das ist natürlich to much für eine Person. Erst recht für eine so schmale, so junge, deren Füße in recht niedlichen Füßlingen mit langen Zehen stecken. Klar möchte Ödipus in der jugendlichen Umgangssprache von heute auch geliebt werden, wenn sie schon das ganze Unglück freiwillig auf sich nimmt.

Teiresias hält sich lange im wabernden Nebel zurück, überlässt ihr die Show – und Gala Othero Winter und Jörg Pohl sind ein grandioses Duo, das alle Register ziehen kann. Nicht nur, wenn Pohl wie eine Neptun-Karikatur als Orakel aus einem Loch im Bühnenboden auftaucht und sich in einem unverständlichen „Ja, Ja, nein, nein“-Kauderwelsch verliert, statt seiner Rolle gerecht zu werden – irgendwann quetscht er ein „Erkenne dich selbst“ heraus, gibt es im Publikum einiges zu lachen.

Gerade an dieser Stelle kippt lustig in ernst: Teiresias will sein Seherwissen partout für sich behalten. Er weiß warum, aber Ödipus macht das sehr wütend. Das Agonale des alten Griechentums schlägt sich in einem artistischen Ringkampf nieder. Und dann, endlich, rückt Jörg Pohl in einem grandiosen Monolog mit seiner Wahrheit heraus: Die Menschen kriegen es nicht geregelt: das Leben, ein Zusammensein ohne Macht und Herrschaft, Mord und Totschlag. Die Erde ist kaputt, die Kriege dauern an, Revolutionen enden in SPD-Politik, Rock’n-Roll in U2. Ganz schrecklich alles, und Fritzi Ernst singt am Keyboard das passende Kitschliied dazu („Du hast es echt nicht leicht gehabt / Der Abgrund hat dich klein gemacht / Dann hast du’s doch noch weitgebracht / Das hast du wirklich fein gemacht!“). Hilft nichts: Teiresias hat keine Hoffnung mehr.

Und wie kommt man wieder raus aus dieser Düsternis, dem einzig beklemmenden Moment des Abends, dem einzigen auch, der sich auf der Höhe der antiken Vorgabe bewegt? „Komm, gib mir deine Hand“, sagt der Seher zur Königin. Und sie verwandelt sich, oh Wunder, in eine rosafarbene Riesenmaus. Schön, wie die beiden da tanzen. Doch draußen geht der Krieg weiter.