Foto: Friederike Ott und Fridolin Sandmeyer in "Das Gesicht des Bösen" am Schauspiel Frankfurt © Jessica Schäfer
Text:Björn Hayer, am 4. Dezember 2021
An nichts kann es zuviel sein: Drei Bühnen und ein Kinderchor sind ein Muss, dazu am besten noch Musicaleinlagen. Nur so kann das „gewaltige Bühnenspektakel“ gelingen. Worum es in seinem Opus magnum gehen soll, steht für den fabelhaft von Sebastian Kuschmann verkörperten Autor schon seit Jugendtagen fest – nämlich den Kapitalismus. Doch wo ist der überhaupt? Wie findet man ihn? Sichtlich vom Leben ernüchtert oder eben zur Weisheit gebracht, berichtet der Protagonist dem Publikum von seinem tragikomischen Los zu Beginn der just am Frankfurter Schauspiel zur deutschsprachigen Erstaufführung gebrachten Farce „Das Gesicht des Bösen“ von Nis-Momme Stockmann. Immerzu wollte er das große Gesellschaftswerk schreiben, das ihm allerdings weder gelang noch Anklang bei Regisseurinnen und Intendanten fand. Aber egal: Die Welt sei eben heuchlerisch, alle seien korrumpiert. Und sowieso gäbe es nie ein Außerhalb der marktradikalen Ordnung. Wohl auch deswegen ist diese rund zwanzigminütige, ungemein amüsant-ironische Exposition mit einem an das Muster eines Mühlenbretts unterlegten Teppich ausgestattet, das zugleich das Anzugdesign des Schriftstellers widergibt.
Nachdem dieser ausgiebig sein Scheitern kundgegeben hat, folgt die Hauptszene des Abends: Ein Mann (Fridolin Sandmeyer) und eine Frau (Friederike Ott) bleiben in einem Fahrstuhl stecken. Davor und zwischendurch hören wir entsprechend loungige Melodien, wie sie den Kompositionen eines Henry Mancinis entsprungen sein könnten. Aber die Lage ist ernst und angespannt, vor allem weil die beiden wenig miteinander anfangen können. Während er verzweifelt Süßholz raspelt, um sie von seinem Charme zu überzeugen, mimt sie den Typus der eisernen, allein von Karriereplänen getriebenen Jungfer, die durchaus ein wichtiges Projekt vor sich hat. Denn eigentlich sollte sie längst in der Chefetage der in internationale Waffengeschäfte verwickelten „Firma“ angekommen sein, um dort geheime Papiere in einem ominösen Aktenkoffer zu übergeben. Mit geradezu cartoon-artigem Slapstick versuchen die Gefährten wider Willen das Warten zu überbrücken. Sie nähern sich an, stoßen sich ab, singen bei gleißendem Licht und mit grotesker Intonation „Daylight in Your Eyes“ oder „(I’ve Had) The Time of My Life“.
Die Zwänge des Kapitalismus
Nur was hat wiederum dieser Part des Abends mit Kapitalismus zu tun? Die Nähe wird indirekt und subtil deutlich: nämlich in der Darstellung einer fundamentalen Gefangenschaft. Dass die Enge des Fahrstuhls als Metapher angesehen werden kann, vermitteln auch die zahlreichen auf der Bühne präsenten Kameras. Sie bilden das Auge des anonymen Überwachungskapitalismus. Selbst als die Protagonistin infolge eines erneuten Knalls schwer verletzt wird, hütet sie den Koffer, als wäre er die Büchse der Pandora. Ausbeutung, so die Botschaft des Abends, manifestiert sich nicht in Peitsche und Gewalt, sondern als effiziente Psychopolitik.
Indem die Regisseurin Lea Gockel das ganze Arsenal des komischen Feuerwerks zündet, verleiht sie der Posse von Nis-Momme Stockmann eine süffisante Leichtigkeit. Nicht ganz zu camouflieren vermag sie allerdings die Längen, allen voran im zweiten Teil. Hier bahnt sich doch ein wenig zu viel Geschwätzigkeit Raum, weswegen das Stück „Das Gesicht des Bösen” letztlich doch in einen Leerlauf gerät und kaum mehr Neues zu präsentieren weiß. Überzeugend ist allerdings die Aussage, der zufolge alle Bemühungen, den Kapitalismus zum Fall zu bringen, eher auf einen übersteigerten Geniekult mancher Autorinnen und Autoren denn auf realistische Szenarien zurückgehen. Angesichts der unzähligen Bühnenentwürfe der vergangenen Jahre über das neoliberale Subjekt, einen wiederentdeckten, aber im Grunde doch nie vergessenen Marx und überhaupt die globale Ungerechtigkeit etc. stellt Nis-Momme Stockmanns „Das Gesicht des Bösen“ jedenfalls eine wohltuende Erfrischungskur dar.