Oldenburgisches Staatstheater zeigt "D-Man in the waters"

Schneller laufen, höher springen, weiter tanzen

Bill T. Jones/Antoine Jully: D-Man in the waters/Generation Y

Theater:Oldenburgisches Staatstheater, Premiere:05.03.2016 (UA)Musikalische Leitung:Elias CorrinthKomponist(in):Felix Mendelssohn Bartholdy/Sir Malcom ArnoldEinstudierung:Janet Wong und Antoine Jully

Ein laues Windchen, frühlingshaft anregend? Nein, im Oldenburger Staatstheater liegt schon Sommersonnenglut in der Luft. Selige Ferienvorfreude kippt ausgelassen heiter in überschwänglichen Bewegungsdrang. Die Compañeros des Tanzensembles tragen kriegerische Tarnkleidung. Wahrscheinlich waren sie bis kurz vor der Aufführung als Partisanen im brutalen Alltagskampf unterwegs. Nun aber tollen sie im gleißenden Bühnenlicht springfidel und rasant drauflos wie Kinder beim Anbaden.

Kopfüber stürzen sie sich auf den Boden oder heben wie zum Bauchklatscher ab. Tauchen und kraulen durch die Luft, hechten, schlittern, hüpfen. Wedeln mit ihren Armen wie Fische mit ihren Flossen und haben den Seepferdchen abgeschaut, wie es Wellen über den Körper laufen lässt. Immer wieder finden auch händchenhaltend Paare zusammen – und gleiten nimmermüde weiter zur nächsten Begegnung. Durchwirbeln den Raum mit fein abgezirkeltem Übermut.

Wie Wasserballett im Trockenen kommt „D-Man in the waters” daher, Bill T. Jones’ 1989 uraufgeführte Choreographie, die in Zeiten von Aids eine juvenil zu Kopfe steigende Lebenslust feiern wollte. Janet Wong studierte das Werk in Oldenburg ein. Einige Szenen lässt sie auch auf der Liegewiese des Schwimmbades spielen. Ringelreigen und Gockelsolo sind zu erleben. Balgerei und triumphaler Trotz.

Das tanzkünstlerische Toben ist stets inspiriert durch die musikalischen Bewegungen und Stimmungen von Felix Mendelssohn Bartholdys Streichoktett in Es-Dur, op. 20. Dessen ungestümer Energie kommen die Musiker des Staatsorchesters mit einem herrlich rohen Klangbild auf die Spur, sind vom Tempo allerdings ab und an überfordert. Es gibt auch ruhigere Passagen, Momente der Erschöpfung, der Trauer. Es wird nun in Zweierreihen mit rhythmisch einknickendem Gang umhergeschlendert, Ausschau gehalten, jemand zum Anschmiegen, Trösten oder Herumtragen gefunden. Wechselseitige Fürsorge. Dann nimmt die Musik erneut Fahrt auf – Fäuste werden geballt, Boxpantomime ist zu sehen, ein Tänzer fliegt gen Bühnenhimmel. Euphorie durchpulst den Motionskanon, mit dem das äußerst junge Ensemble zeigt, was es inzwischen alles so kann. Das technische Niveau ist bereits sehr hoch, die stilistische Bandbreite recht groß. Was noch fehlt, sind die selbstverständliche Leichtigkeit und Eleganz der Performance sowie Präzision in den Gruppenszenen.

Schon geschmeidiger gelingt der 2. Teil des Abends, die Uraufführung von „Generation Y“. Schließlich sind da alle Ensemblemitglieder ganz bei sich – laut Geburtsjahr. Aber wie gehen sie damit um, von Generationenerfindern als Bande von Weicheiern beschrieben zu werden, als technologiehörige Schmerzensmänner und lethargische Jammerfrauen? Chefchoreograph Antoine Jully sucht Alltagbewegungen als Gemeinsamkeit, lässt bodenblickend verunsichert schreiten, dann losrennen und dabei auf die Handinnenfläche (Handy) stieren. Zu einem Selfie-Szenario finden alle zusammen. Auch Modetänze werden zitiert.

Wer mag, kann einige der für Ypsiloner aufgerufenen Eigenschaften ins Bühnengeschehen hineininterpretieren. Die Pas de deux sind zeitlich stets knapp bemessen – da die Generation Y nur kurzfristige Partnerschaften anstrebt? Ab und an verlässt jemand kleine Lifestyle-Showtanz-Versammlungen und posiert selbstbewusst, ja: narzisstisch – treibt aber bald wieder (spaßwillig, sicherheitsbedürftig?) zurück in die Gruppe, wo alle einander hektisch umschwirren. Denn sie wissen nicht so recht, was sie wollen? Drehen sich lieber zu zweit um sich selbst? Total unpolitisch natürlich. Aber stets mobil. So wird flexibel beschleunigt: schneller laufen, höher springen, weiter tanzen – schließlich atemlos zusammenbrechen. Was nun wieder zum Generation-Y-Klischee passt: Immer aufgeregt für Neues, aber auch immer wieder entscheidungsgehemmt angesichts der endlosen Wahlmöglichkeiten. Die angestaute Energie fließt in Überspringhandlungen: Tänzer heben ab zu Sehnsuchtssprüngen. Fallen hart? Werden aufgefangen! Harmoniebedürftig?

Aus dem Orchestergraben tönt dazu ein klangbuntes Feuerwerk filmmusikalischer Effekte, die Sir Malcolm Arnold 1960 schwungvoll schlicht zu seiner 5. Sinfonie formatierte. Dessen Eklektizismus doppelt die Choreographie mit ihrem Zitatenmix. Tänzer und Komponist schöpfen gleichermaßen unbekümmert aus der Geschichte ihrer Kunst. Jully geht aber darüber hinaus. Ein Geburtsjahrgänge vereinendes Lebensgefühl wird so nicht zum Bühnenereignis. Aber ein weiterer Schritt vom Suchen zum Finden einer Compagnie-eigenen Bewegungssprache.