Aufführungsfoto von „Söhne“ von Marine Bachelot Nguyen am Schlosstheater Moers. Eine Frau steht hinter einem Fadenvorhang und hält ein Tuch in ihren Händen.

Solo einer Mutter

Marine Bachelot Nguyen: Söhne

Theater:Schlosstheater Moers, Premiere:13.12.2025 (DE)Regie:lynn t musiol

Das Monologstück „Söhne“ der französisch-vietnamesischen Autorin Marine Bachelot Nguyen kreist um Homophobie, Radikalisierung und das Zerbrechen einer christlich-konservativen Familie. In der deutschen Erstaufführung in der Regie von lynn t musiol am Schlosstheater Moers beeindruckt das Solo von Catherine Elsen.

Wissen Sie, was es heißt, Mutter zu sein? Cathy, Apothekerin in einer französischen Kleinstadt, beginnt ihre Geschichte mit dieser Frage. Unvermittelt und direkt richtet sie sich an einen der Premierenzuschauer. Er heißt Markus, wie wir alle erfahren. Ohne den Touch eines unangenehmen Mitmachtheaters gelingt diese Eröffnungsszene von „Söhne“. Sie schafft noch mehr Nähe in dem ohnehin intimen Rahmen der „Kapelle“, dem außergewöhnlichen Spielort des Moerser Schlosstheaters.

Es hätte wohl kaum eine passendere Kulisse für die deutsche Erstaufführung des Stücks der französisch-vietnamesischen Autorin Marine Bachelot Nguyen geben können, die zur Premiere aus Frankreich angereist ist. Im ehemaligen Gotteshaus auf dem alten Moerser Friedhof werden wir Zeugen, wie die Hauptfigur ihres Monologstücks immer tiefer in den Sumpf rechtskonservativer, katholischer Kreise gerät und sich am Ende vor den Trümmern der anfangs scheinbar heilen Familienwelt wiederfindet.

Apotheke, Kirche, Wohnraum

„Radikale Zeitgenossenschaft“ – mit diesem Motto ist das neue Intendanten-Duo Daniel Kunze und Jakob Arnold in Moers angetreten. Nach dem starken Spielzeitauftakt mit „Der Frieden“ hält auch die Inszenierung von „Söhne“ (eine Koproduktion mit den Théâtres de la Ville de Luxembourg) das Versprechen, dass auf der Bühne des Schlosstheaters Themen verhandelt werden, die uns im Hier und Jetzt etwas angehen. Während sich einer der Söhne radikalisiert und ins rechtsextreme Milieu abdriftet, sieht sich der andere gezwungen, seine Homosexualität zu verstecken. Ein Spannungsfeld, man ahnt es sehr bald, das in einer Katastrophe endet. Denn Darstellerin Catherine Elsen lässt ihre Figur, noch bevor die Chronologie der Erzählung richtig beginnt, folgenden Satz über die Apotheke sagen, die ihr Lebensinhalt war: „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder einen Fuß hineinsetze.“

Mit einem transparenten Fadenvorhang hat Bühnen- und Kostümbildnerin Ulla Willis einen Bereich abgetrennt, der sowohl Apotheke als auch Kirche oder Wohnraum ist. Biblische Motive werden auf den deckenhohen Raumteiler projiziert, durch den das Gespielte nur schemenhaft zu erkennen ist. Ein Tisch, Kerzen, ein Stapel Tücher, die als Requisiten für Produkte der Apothekerin dienen – viel mehr braucht es nicht, um die Geschichte von Cathy und ihren Söhnen zu erzählen.

Aufführungsfoto von „Söhne“ von Marine Bachelot Nguyen am Schlosstheater Moers mit Catherine Elsen. Eine Frau hockt in einem dunklen Raum auf dem Boden und hält eine Gruppe von Kerzen in den Händen. Um sie herum stehen verstreut ebenfalls erleuchtete Kerzen auf dem Boden.

„Söhne“ von Marine Bachelot Nguyen am Schlosstheater Moers mit Catherine Elsen. Foto: Lars Heidrich

Beklemmende Enge

Das Team um Regisseur:in lynn t musiol und Dramaturg Gabriel Rodríguez Silvero inszeniert sehr nah am Text von Marine Bachelot Nguyen, die für das Stück mehrfach ausgezeichnet wurde. Die Erzählperspektive wechselt zwischen Ich-Form und Außenansicht. Mal teilt Cathy ihre Gedanken mit dem Publikum; dabei steht sie meist vor dem Vorhang. Mal kommt ihre Stimme vom Band. Dann wird die Handlung abgespult, während die Schauspielerin agiert und zum Beispiel ein Lichtermeer aus Kerzen arrangiert. Dicht an dicht sitzt das Publikum im mystischen Ambiente der kleinen Kapelle – die Enge macht das beklemmende Thema körperlich spürbar.

Eine Frau hadert mit ihrer Mutterrolle und dem Leben in der Provinz. Sie sehnt sich nach gesellschaftlicher Anerkennung, lässt sich von Ideologien mitreißen, wird zur radikalen Christin. Die Autorin hat die fiktive Geschichte mit realen Hintergründen verwoben. Die Handlung spielt 2011 bis 2013 in Frankreich, als rechtskonservative Christen gegen eine in ihren Augen blasphemische Theateraufführung von Romeo Castellucci auf die Straße gehen. Später formiert sich die „Manif pour tous“, eine Anti-Gender-Bewegung, die gegen die „Homo-Ehe“ skandiert.

Intensives Solo

All das lässt uns Catherine Elsen mit einfühlsamem und intensivem Spiel nachempfinden. Sie sucht und findet Blickkontakt mit dem Publikum, drückt ihre Gemütslage je nach Stimmung mit hängenden Schultern, ausgebreiteten Armen oder geballten Fäusten und facettenreicher Mimik aus – vom seltsam entrückten Blick über fassungsloses Stirnrunzeln bis zum stummen Schrei.

Ab und zu nutzt sie das Licht als Effekt oder lässt zur Untermalung des Gesprochenen Töne und Gesang in Endlosschleife laufen. Doch der Kern des packenden Solos „Söhne“ ist pure Schauspielkunst. Berührende und nachdenklich stimmende 75 Minuten. Wenn Cathy mit angewidertem Ausdruck davon spricht, dass ihr homosexueller Sohn ein „Fehler der Natur“ ist, eine „Anomalie“, dann bleibt denen das Lachen im Halse stecken, die zuvor noch über den Satz „Der Penis hat die Orientierung verloren“ gekichert haben. Die Geschichte, die vor mehr als zehn Jahren in Frankreich spielt, ist weiter aktuell: Homophobie, Queerfeindlichkeit, christliche Fundamentalisten und Rechtsextreme, die gemeinsame Sache machen – all das beschäftigt uns noch immer. Das Regiedebüt von lynn t musiol endet mit einem überraschenden Schlussbild, das hier nicht gespoilert wird. Nur so viel: Das Publikum hat darüber nach ausgiebigem Applaus beim Glühwein vor der Kapelle noch angeregt diskutiert.