Szene aus "Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin"

Im Müll erstickt

Roland Schimmelpfennig: Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin

Theater:Theater im Marienbad, Premiere:10.11.2023Vorlage:Der standhafte ZinnsoldatAutor(in) der Vorlage:Hans Christian AndersenRegie:Sascha FlockenKomponist(in):Burkhard Finckh

Mit viel Erfolg hat der Dramatiker Roland Schimmelpfennig das Andersen-Märchen vom Zinnsoldaten weitererzählt. Die Inszenierung im Theater im Marienbad in Freiburg setzt ganz auf die Spielangebote und erzählt von einer Wegwerf-Gesellschaft. Die Inszenierung geht leider unter den Müllbergen auf der Bühne unter.

„Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ von Roland Schimmelpfennig gehört seit mehreren Spielzeiten zu den Erfolgsstücken des deutschen Theaters für ein junges Publikum. Der Autor erzählt die Geschichte von Hans Christian Andersen weiter, indem er nicht nur den misshandelten einbeinigen Zinnsoldaten zu Worte kommen lässt (wie im Original), sondern auch die Geschichte der Papiertänzerin auserzählt. Während seine Geschichte sich abwärts bewegt bis hinein in die Kanalisation und auf den Grund des Flusses, entkommt sie auf Grund der Leichtigkeit ihres Materials in die Lüfte. Was Schimmelpfennig hier zusammenbringt, ist der wunderbare Moment, wie die Schwere eines einbeinigen (Spielzeug-)Zinnsoldaten mit der Leichtigkeit einer Papiertänzerin zusammenkommt und sich zu neuen Energien bündeln.

Bühne voller Müll in Freiburg

Schimmelpfennig entwickelt seine Dramaturgie aus dem Spiel heraus: Am Anfang treten beide – Papiertänzerin und Zinnsoldat – als Erzähler auf. Sie müssen das böse Ende, das ihnen einst Hans Christian Andersen zugeschrieben hat, nicht erlebt haben, sonst könnten sie ihre Geschichte nicht erzählen. Wie aber lässt sich ihre Geschichte in einem Raum erzählen, der einer gestylten Müllhalde ähnelt?

Links dominiert im Theater im Marienbad Freiburg durch eine Gitterbox mit silbern schimmernden Teilen, an der linken Bühnenwand ein glänzender Aluvorhang, in der Mitte eine Rutsche wie aus Pappe. Daneben befindet sich ein schmaler schmutzig-weißer Vorhang und rechts eine kleine Welt aus verschiedenen Kartons, aus denen schon einmal Ballons aufsteigen können. Das Bühnenbild von Paula Mierzowsky wirft bei der Freiburger Inszenierung viele Fragen auf.

Zwei Personen stehen nebeneinander auf einer Bühne und halten jeweils einen Ballon in Pink und Gelb.

Die Freiburger Schauspielerinnen Julia-Sofia Schulze und Lisa Bräuniger überzeugen mit ihrem Spiel. Foto: Jennifer Rohrbacher

 

Kein Märchenton im Theater

Eine Welt, die im Müll erstickt – wie soll sich da die flüchtige Geschichte von zwei Wesen, die aus Not zusammenkommen, mit Leichtigkeit entwickeln? Das Bild allein schon erstickt alle Leichtigkeit des Seins. Da steht jede Regie auf verlorenen Posten: Sascha Flocken versucht in seiner Inszenierung gegenzusteuern, indem er das Spielprinzip der Vorlage betont. Und das gelingt über weite Strecken gut, weil Julia-Sofia Schulze als Zinnsoldat und Lisa Bräuniger als Papiertänzerin dieses Spielprinzip umsetzen können. Allerdings bleibt an diesen Spielen eine bleierne Schwere hängen. Und unglücklicherweise wird das auch noch unterstützt durch die Musik von Burkhard Finckh, der eher mit schweren Akkorden die Inszenierung begleitet.

Beide – Schulze wie Bräuninger – haben eine starke Ausstrahlung auf der Bühne. Besonders Bräuniger überzeugt, wenn sie an einem Knotengebilde über den Bühnenboden schwebt. Beide entwickeln im Spiel eine starke Empathie, obschon die Erlebnissphären ihrer Figuren in ganz anderen Welten (Himmel, bzw. Unterwelt) verortet sind. Gemeinsam erleben sie hingegen die Grausamkeit von Kindern, die nur mit heilen Sachen spielen wollen. Aber, wenn diese derangiert oder nicht vollständig sind, zerstören sie diese gerne. Sascha Flocken legt den Fokus seiner Inszenierung auf diesen Aspekt einer Wegwerf-Gesellschaft, haarscharf am Zeigefinger vorbei streifend. Zweifelsohne lässt sich das Stück von Schimmelpfennig so erzählen, aber dann weniger realistisch. Was dieser Inszenierung fehlt, ist der Märchenton. Und das ist schade.