"Die Räuberinnen" an den Münchner Kammerspielen

Schiller, neu gemixt

Leonie Böhm: Die Räuberinnen

Theater:Münchner Kammerspiele, Premiere:23.11.2019Vorlage:Die RäuberAutor(in) der Vorlage:Friedrich SchillerRegie:Leonie Böhm

Das Konzept ist durchaus reizvoll: Schillers „Räubern“, diesem so männlichen deutschen Drama, konsequent alles Maskuline auszutreiben und einen Mädelsabend daraus zu machen. Ohne Männer, ohne Gendersternchen, ohne Kompromisse: eine komplette Produktion der -innen. Regisseurin Leonie Böhm inszeniert an den Münchner Kammerspielen „Die Räuberinnen“, sehr frei nach Schiller. Ohnehin ist dies das Wochenende der Schauspielerinnen in München, nachdem am Abend zuvor Bastian Kraft gegenüber im Marstall des Residenztheaters seine Fassung von Wedekinds „Lulu“ von drei Frauen spielen ließ, die das Bild vom Mann als Verführer und der Frau als der Verführten gehörig aufrüttelten.

Die Kammerspiele gehen nun noch einen Schritt weiter: nicht nur auf der Bühne, sondern auch dahinter regieren an diesem Abend die Frauen (Ausnahme: Jürgen Tulzer darf als einziger Mann die Damen ins rechte Licht rücken). Die vier Schauspielerinnen und die Musikerin Friederike Ernst begrüßen das Publikum mit einem Liedchen, das ein heiteres Frauenleben verspricht, sich aber so trocken vorgetragen selbst ad absurdum führt. „Hier ist meine Höhle, hier wohn ich, komm rein, der Boden ist Honig“, singen die vier. „Riecht’s hier drin nach Gras, hab ich grade Spaß.“ Gro Swantje Kohlhof übernimmt es in einem Prolog, Sinn und Zweck des Abends zu formulieren. Die Seelen bei ihren geheimsten Operationen ertappen und schließlich „das gewohnte Denken vom Geist aus zu verändern“.

Eher monologisch als dialogisch berichten dann alle von ihren persönlichen Entwicklungs- und Unfreiheitsdramen. Zahava Rodrigo hat dafür einen bedrückenden Raum entworfen: Über ihnen schwebt wie ein dauerhaftes Stimmungstief eine gigantische Schlechtwetterwolke und implizit die Frage, wie man denn auch gut drauf kommen soll, wenn permanent Unheil dräut. Von Schiller übernimmt Böhm lediglich vier Figuren: Franz, Karl, Amalia und Spiegelberg. Mit der Geschlechterthematik geht die Regisseurin dabei entspannt um: die Männer werden einfach von Frauen gespielt, die Namen ändert sie nicht, nur die Gefühlstemperatur.

Da ist der ungeliebte Sohn Franz, gespielt von Eva Löbau, die vor allem eines will: wahrgenommen werden. „Die ganze Welt eine Familie, ich allein die Verstoßene“, vom Vater vergessen, vom Bruder ewig in den Schatten gestellt. Sie schildert, wie sie ihrem Vater stolz die neuen Trekking-Sandalen vorführt, weil der „auf gut ausgerüstete Frauen steht“. Der bemerkt aber rein gar nichts, nicht einmal, als sie schließlich komplett nackt nur in den Sandalen vor ihm steht, fallen ihm diese auf, sondern nur, dass ihre „Schamlippen hängen“. Da ist der Lieblingssohn Karl, den Julia Riedler als Rampensau spielt, so abhängig von der Liebe der anderen und ihres Publikums, dass ein Ausbleiben derselben sie in eine tiefe Depression stürzen lässt. Und da ist Amalia, die einzige Frau im Schiller-Stück, der es dort vorbehalten ist, zu lieben und in der Laube Portraits des Geliebten zu pinseln. Sophie Krauss stürmt von der Bühne auf den Balkon und zurück, um die Brüder aus ihrer Lethargie zu holen, versucht es mit Liedern und „ekligen“ Provokationen, sie aus der Reserve zu locken – um schließlich selbst irgendwie aufzugeben.

Böhm geht es um Eitelkeiten, Kränkungen, Schmerz, das Gefühl, nicht erwünscht zu sein. Motive von Schiller, neu gemixt. Weil die Verbindung zu den Schiller-Figuren aber vage bleibt, die Konfrontationen ausgemerzt sind und an ihre Stelle Befindlichkeiten gerückt sind, zieht sich diese in Monologen aneinandergereihte Nabelschau irgendwann in die Länge. Auch wenn das dramaturgisch so gewollt ist. Denn nur so kann die Vierte im Bunde die Mädchenbande schließlich aufrütteln: „Tja, das ist alles so verschwistert“, sagt Gro Swantje Kohlhof, die das Treiben bis dahin vom Rande beobachtet hat. Sie erinnert an ihren Anfangsappell: „Ich hab das Gefühl, hier denkt keiner mehr mit.“ Sie übernimmt als Spiegelberg die Regie, entführt die anderen drei auf eine Gedankenreise in die böhmischen Wälder samt Moosgeruch und Knacken im Unterholz, appelliert an ihren Kampfgeist und holt sie zurück in die Story: „Wer schreibt die besten gefälschten Briefe? Franz Moor!“ Sie beschwört Szenen der Kraft, des Muts und des Zusammenhalts hinauf, zitiert „Harry Potter“ und „Fight Club“ und rast mit ihrer Amazonen-Mädchenbande über die Bühne, durch den Regen, hinein in ein entfesseltes Finale, bei dem schließlich alle nackt über die regennasse Bühne schlittern, auch mal über die Rampe hinaus ins Publikum. Was sie gebremst und gehemmt hat, lassen sie hinter sich, rutschen hinein in eine weiblich befreite Zukunft, in eine augenzwinkernde Utopie.