Die ebenso bizarren wie opulenten Kostüme von Gianluca Falaschi mit ihren kunterbunt historisierenden Pluderhosen und Reifröcken, Spitznasen und Turmperücken, Plusterbäuchen und Polsterschultern sowie die Bühne von Flurin Borg Madsen mit ihrem Dreieck-Architektur-Segment im Zentrum, das gründerzeitliche Hausfassade, hierarchische Monumentaltreppe und Puppenstube mit Interieurs in sich vereint, stellen der Regie eine hochartifizielle, puppenspielhafte Welt zur Verfügung. Steier organisiert diese Welt mit feinem Gespür für den dramatischen Verlauf und die Rhythmik der Musik.
Aber nicht nur das. Durch geschickt gesetzte eigene Akzente spitzt sie die Interpretation sinnfällig zu. Natürlich kann der Held Perelà auf der Bühne schlecht aus Rauch bestehen. Wenn Steier ihn nackt auftreten lässt – und der Sänger Peter Tantsits macht das wirklich mit grandioser Souveränität –, schafft sie den präzisen Gegenpol zur Kostümopulenz der Gesellschaft. Durch die schrillen Kostüme sind sie nämlich alle, der Zeremonienmeister, der Kammerdiener, der Bankier, der Erzbischof, der Philosoph, typisiert und damit festgelegt in Habitus und Charakter. Perelà aber ist nackt, unschuldig, sozial indifferent. Folglich bewegen sich die Gesellschafts-Figuren auch alle typisiert, ja, karikiert: in schrillen Posen, hektischen Gesten. Perelà dagegen ist eine sich windende, gleichsam instabile Körpersprache zugeordnet: Er ist unschuldig, rein, ein Ingénu im Sinne Voltaires, der das Verzerrte und Verkommene dieser Gesellschaft zum Vorschein bringt. Eine tolle Idee ist es auch, der verliebten Bellonda eine kleine Tochter beizugeben, die zu Perelàs Schwester im Geiste wird: unschuldig auch sie, und wie er einer verkehrten Gesellschaft ausgesetzt.
Durch solche Akzente und genau gesetzte Aktionen schärft Steier den Sinn hinter dem wahrlich quietschkomischen, bilderbuchbunten, kurzweiligen szenischen Geschehen. Und das Ensemble bringt die Figurenprofile ebenso engagiert über die Rampe wie die Gesangspartien. Man merkt dem Tenor Peter Tantsits zwar an, dass die Höhen der Titelpartie unbequem sind, interpretatorisch charakterisiert er die Figur aber äußerst einprägsam. Eindrucksvoll auch, wie klangvoll die Mezzosopranistin Geneviève King den enormen Tonumfang der in Perelà verliebten Bellonda meistert. Und Marie Christine Haase gibt der Königin quecksilbrige Koloraturnervosität und der Tochter des Alloro hysterische Durchschlagskraft. Alle im großen Ensemble, Peter Felix Bauer als Zeremonienmeister und Minister, Hans-Otto Weiß als Kammerdiener, Heikki Kilpiläinen als Bankier Rodella, Alin-Ionut Deleanu als falsettierender Erzbischof bis hin zum von Sebastian Hernandez-Laverny bestens präparierten Chor sind mit Profil und Präsenz in ihrer jeweiligen Rolle. Und Hermann Bäumer dirigiert dieses Ensemble und das vorzüglich aufgelegte, nur anfangs eher grobkörnig statt „rauchig“ klingende Philharmonische Orchester mit großer Übersicht und viel Sinn für Dusapins rhythmische Schärfe und reiche Klangfarben.
Es gibt wirklich viel zu sehen, zu hören und jede Menge zu denken, viel mehr, als hier erzählt werden kann. Der Abend ist ein Totalerlebnis – da muss man hinfahren!