Foto: Hier ist die eigentlich elende Spelunke Don Quixotes ein imposantes Barockschloss. Die Schlossfestspiele Ettlingen zeigen "Der Mann von La Mancha". © Schlossfestspiele Ettlingen
Text:Eckehard Uhlig, am 5. Juli 2019
Die elende Spelunke, in der Don Quixote zusammen mit seinem Knappen Sancho Panza absteigt, erscheint dem Phantasten als ehrwürdiges Schloss. Bei den Schlossfestspielen in Ettlingen, wo Dale Wassermans Musical „Der Mann von La Mancha“ aufgeführt wird, muss sich die Phantasie der Zuschauer in die entgegengesetzte Richtung entfalten, denn hier ist besagte unwirtliche Lokalität mit groben Tischen, Bänken und Strohsäcken im Hof eines wirklichen, prächtigen Barockschlosses eingerichtet. Was der Wirkung des Stückes keinerlei Abbruch tut, sondern eher für eine zusätzliche Pointe sorgt.
Skurril und eigenwillig, erfüllt von heroisch-närrischen Taten: Man kennt den von Miguel de Cervantes erfundenen „Ritter von der traurigen Gestalt“ als Archetypen der Weltliteratur wie Goethes „Faust“ und Shakespeares „Hamlet“. Die von Felix Seiler für Ettlingen inszenierte Musical-Fassung präsentiert den klassischen Stoff im leichten Gewand, behält die Struktur der 1965 am Broadway uraufgeführten Wasserman-Version weitgehend bei und bietet ein handwerklich solide gemachtes, unterhaltsames Bühnenspektakel.
Reizvolle „Donquichotterien“, Höhepunkte des um 1600 geschriebenen spanischen Monumentalromans werden zu einem neuen Zusammenhang montiert und in populär ansprechende Formen gegossen – so der Kampf gegen die Windmühlenflügel, robuste Händel in der Schenke, die Episode vom sagenhaften Goldhelm des Mambrino, der Ritterschlag oder die Troubadour-Allüren der Dulcinea-Lieder. Wassermans Kunstgriff, den angeblich von der Inquisition verfolgten und ins Gefängnis geworfenen Dichter Cervantes selbst als epischen Spielleiter agieren zu lassen, der sein Don Quixote-Manuskript zusammen mit den Knast-Genossen theatralisch turbulent als Spiel im Spiel in Szene setzt, ermöglicht eine groteske Komödie, die von den Ettlinger Mimen und Sängern mit schwerelosem Humor ausgespielt wird.
Unter tätiger Mithilfe des versammelten Typenarsenals erweckt der Autor seinen „trockenen, verrunzelten, grillenhaften Sohn“, wie die Vorrede des Originaltextes vermeldet, zu neuem Leben – indem er selbst die Hauptrolle, eben die des bizarren Ritters, Gerechtigkeits-Fanatikers und Frauenverehrers übernimmt. In Ettlingen ist Frank Winkels diese verdoppelte Heldenfigur. Mit Rüstung, Lanze, Ziegenbärtchen und knorrigem Charme kämpft er unverdrossen für die Ehre seiner auserwählten Dame, die eigentlich nur die von dem Schenken- und Kerker-Gesindel missbrauchte Hure Aldonza ist. Seine Verwegenheit erzeugt Mitgefühl, der volle, eingängige Ton seines mehrfach wiederholten Leitmotiv-Songs gibt sich selbstbewusst: „Ich bin ich, Don Quixote“. Auch lyrische Zartheit steht ihm zu Gebot, wenn er Aldonza in seine Prinzessin Dulcinea verwandelt oder beim Ritterschwur seine unmöglichen Traumvisionen sanglich ausbreitet.
Sören Ergangs Sancho Panza steht dem Ritter mit gewinnender Heiterkeit zur Seite, seine helfende Absicht zeigt sich in liebenswürdiger Naivität und kulminiert in dem Lied „Ich mag ihn“. So bereitet das Duo dem Publikum viel Freude. Als abgerissene Prostituierte Aldonza wirbelt Dalma Viczina zwischen den verluderten Männern. Sie beherrscht den schrill-aggressiven Musicalsound aus dem Effeff, aber auch sehr weiche, verführerische Klangverzauberung. Mühelos kann sie auf diese Weise das enorme Spannungsgefälle zwischen einer Gossen-Schönheit und der ritterlich idealisierten Dulcinea aufzeigen.
Launig verspielte, auch dramatische Gruppen- und Chorszenen bereichern die Inszenierung – wenn beispielsweise die Nichte Antonia (Valentina Inzko Fink), die knödelnd singende Haushälterin (Katja Brauneis) und der feinsinnige Padre (Max Meister) gemeinsam versuchen, Quixote beschwörend zur Vernunft zu bringen. Oder wenn unter der Ägide des Gefängnisaufsehers (Tobias Rusnak als Herzog), des Schankwirts (Raphael Dörr) und des Anführers Pedro (Marc Trojan) die Maultiertreiber ihr Aldonza-Spottlied „Kleiner Fink, kleiner Fink“ anstimmen. Der Schluss (Quixote auf seinem Sterbebett) fällt übermäßig rührend aus, aber gefühlige Übertreibungen gehören schließlich zu diesem Theatergenre, vor allem, wenn es im historischen Zeitkostüm (Ausstattung: Christian Held und Linda Schnabel) vorgestellt wird.
Die kleine, von Adrian Sieber – der auch die Arrangements besorgt hat – geleitete Band intoniert Mitch Leighs Musik zuverlässig. Freilich hätte manche Musical-Nummer fetziger, opulenter und zupackender musiziert werden können.