Szene aus "Harakiri"

Reflektionen über den Tod auf der Opernbühne

Péter Eötvös: Radames/Harakiri

Theater:Theater Plauen-Zwickau, Premiere:04.03.2022Vorlage:AidaAutor(in) der Vorlage:Giuseppe Verdi und Antonio GhislanzoniRegie:Jürgen Pöckel Musikalische Leitung:Leo Siberski Komponist(in):Péter Eötvös

Sehnsüchtig-verzweifelt schaut eine junge Frau alte Fotos an, lässt sie fallen, wirft sie weg. Dann rennt sie um die Bühne, als ginge es um ihr Leben. Um nicht weniger geht es auch dem Komponisten Péter Eötvös, um dessen Anfang und Ende, in seiner Kammeroper „Harakiri“. Am Vogtlandtheater Plauen wurde dieses Stück mit einem zweiten Kurzwerk ( „Radames“) zusammengespannt – zu einem beeindruckend-bedrückenden Theaterabend.

Die „Kleine Bühne“ ist leergefegt. Im schwarzen Raum hat Andrea Eisensee Stühle für etwa 40 Zuschauer auf ein flaches Bühnenpodest stellen lassen, eine Orgel, einige wenige Stühle für die Musiker der Clara-Schumann-Philharmonie. Hier starten die „Zwei Kammeropern in einem Akt“ mit dem Nachdenken des ungarischen Komponisten über die Oper, wie wir sie sonst kennen. Denn in „Radames“ versucht ein Schauspieler (Noah Xuhui Du) tapfer, seinen Part zu proben. Doch die Regisseure für Oper, Theater und Film drängen ihm gleichzeitig ihre Versionen auf. Die Kostüme dafür stehen in Waschkörben bereit.

Der Filmmann (Johannes Fritsche) kennt nur den Blick durch den engen Sucher, die Opernfrau (Malgorzata Pawlowska) nur den in die Partitur. Der Theaterregisseur (Marcus Sandmann) liest mehr in seinen Büchern, als er zuhört – und wird doch zum Zentrum der Inszenierung. Dazu wird natürlich nicht Verdi gesungen, sondern Eötvös – mal hoch, empört und grimmig, mal ratlos-leise. Marcus Sandmann umkreist Töne, setzt Klang-Punkte und -Akzente. Dann schmettert er Theaterblut auf die Bühne, zu hohem Schmerzensgesang.

Das ist, in der Regie von Jürgen Pöckel, so verwirrend wie grotesk und wird durch das Mit- und Gegeneinander von Sopransaxophon, Horn, Tuba und Klavier nur verstärkt. Und es ist wirklich alles drin: Theater-im-Theater, Opern-Parodie und gesungenes Nachdenken über diese Kunstform. Dazu sängerische und musikalische Klasse unter GMD Leo Siberski. Was die Regisseurin im Stück aber nicht davon abhält, ihren Helden mit einem roten Samtmantel zu erwürgen.

Verantwortung für den Tod

Dann wird es ernst und die Bühne zur Todeszone. In 15 Baumklötzen stecken ebensoviele Äxte. Eötvös‘ „Harakiri“ beginnt und Regisseur Jürgen Pöckel selbst spricht aktualisierten Eingangstext des Komponisten. Für den Zeitpunkt seines Todes sei der Mensch verantwortlich, heißt es in der Erläuterung des Selbstmord-Rituals. „Außer in einer Katastrophe, wie sie zwei Flugstunden von hier passiert“, ergänzt Pöckel am Tag, an dem Putin ein ukrainisches Atomkraftwerk angreifen lässt.

Dann waltet der „Holzhacker“ seines Amtes. Der hochaufgeschossene Johannes Fritsche – in schwarzer Samurai-Hose, Kopf und Körper rot geschminkt – zerschlägt Holzklötze. Präzise, rituell, unerbittlich, wie eine Lebensuhr, bei der die Zeit heruntertickt. Diese Frist scheint für die „Japanische Sprecherin“ (Risa Matsushima) oder einen Menschen, den sie betrauert, abgelaufen. Das Betrachten der Fotos am Anfang des Abends haben nicht geholfen. Nun klagt sie mit Singen, Singsang, einzelnen Tönen. Sie bewegt sich um die Bühne, begegnet dem Holzhacker, schlüpft schließlich zwischen und unter die Äxte.

Damit korrespondiert der Dialog zweier Bassklarinetten (Uwe Gleitsmann und Holger Heberlein), die das menschliche Sprechen durch- und nachspielen. Bald hell und frohgemut, dann zögernd-dunkel, nahe am Verstummen. Längere Tonlinien kommen zu Fanfarenstößen. Leo Siberski dirigiert die beiden Solisten so präzise wie den Holzhacker. Im Takt seiner Schläge vollzieht die „Sprecherin“, nun im kunstvollen Kimono, das „Harakiri“-Ritual – und endlich verharrt der Holzhacker. Betroffene Stille vor dem Applaus für diesen besonderen Abend.