Die tiefe Erschütterung der modernen Welt wird nämlich in der unfassbaren Trauer Claudias gespiegelt, einer in Japan lebenden deutschen Mutter, die zwar gerade noch den realen Fukushima-Tod ihres japanischen Lebensgefährten, nicht aber den ihres Sohnes Max annehmen kann. Der japanische Regisseur Oriza Hirata platziert sie deshalb zwischen Leben und Tod, zwischen Weltscheibe und Nirgendwo (Bühne: Itaru Sugiyama): als ruhelos Umherirrende auf einer Brücke, die deutlich das No-Theater herbeizitiert. Über allem baumeln Leuchtröhren wie glühende Brennstäbe. Und ein kleiner Roboter verkündet gebetsmühlenartig die trügerische Wahrheit, man befinde sich in „gesicherter“ Zone, zumindest, bis die Totengräber in weißen Schutzanzügen auf die Bühne kommen.
Am Tag der traditionellen „O-higan“-Zeremonie, wenn die Fischer zum Gedenken an die Verstorbenen Lampions auf dem Wasser treiben lassen, versuchen Claudias deutscher Exfreund, er ist der leibliche Vater des getöteten Kindes, und die Schwester ihres ums Leben gekommenen Lebensgefährten vergeblich, sie mit buddhistischen Beschwörungsformeln ins wahre Leben zurückzuholen. Der Chor der Fischerdörfler, der etwas betulich à la Benjamin-Britten-Realismus von Aya Masakane kostümiert ist, aber musikalisch enorm reizvoll in einer Art „close harmony“ changiert, hat dazu die ewig offenen Was-wäre-wenn-Fragen parat.
Seine große Schwäche hat das letztlich zeitlose Musiktheater allerdings gerade im deutschsprachigen Textbuch (Hannah Dübgen) und seiner stockend gestelzten Durchbuchstabierung in monoton simplen, an japanische Mönchsgesänge angelehnten Monodien. Die Dialoge („Arie“ des Stephan: „Du weißt, dass Max nicht mehr ist. Du bleibst, weil Max nicht mehr ist. Du musst aber nicht bleiben, wo unser Sohn nicht mehr ist! Sieh doch, wie es wirklich ist!“) wirken auf diese Weise oft extrem papieren.
Über jeden ansatzweise expressiveren Ausbruch ist man prompt heilfroh, zumal hier auf grandiosem Niveau gesungen wird: Die dänische Koloratursopranistin Susanne Elmark brennt mit ihrer faszinierend intensiven Laserstimme als Claudia wahre Anklage-Menetekel in die allseits verstrahlte Tristesse; der Alte-Musik-Star Bejun Mehta beschwört sie als deutscher Kindsvater Stephan in maximal schönen, raumgreifenden Countertenor-Tönen, die Realitäten anzuerkennen; und Bayreuths bewährte Kundry Mihoko Fujimura verleiht der Schwägerin Haruko eine herbe Eindringlichkeit, wie sie nur große Mezzosoprane zu bieten haben.
Eines aber zeigen schon die wenigen fernöstlichen Zitate: Vermutlich wäre für westliche Ohren ein großer, wunderbar fremdartiger Abend aus diesem unter- und oberschwellig bedrohlich radioaktiven Musiktheater erwachsen, wenn die Künstlichkeit eine unmittelbare Entsprechung in japanischer Originalsprache behalten hätte.