Es ist ein anstrengendes, überfrachtetes, aber auch ein psychologisch ernsthaftes Stück, das die Potsdamer Chefdramaturgin Ute Scharfenberg für die Deutsche Erstaufführung am Hans Otto Theater übersetzt hat. Baute man auf die Ambivalenz der Figuren, auf die Tragik der vier Verbrecher und der blinden Mitläufer, könnte ein bedrückender Theaterabend ganz ohne moralische Belehrung entstehen.
Doch Annette Pullen, die sieben Jahre nach ihrem „Clavigo“ nun wieder eine Regiearbeit in Potsdam übernommen hat, setzt mit Schauspielstudenten der Babelsberger Filmuniversität „Konrad Wolf“ aufs genaue Gegenteil: Man erlebt eindimensionale, überzeichnete Figuren, großes Gepose, hastige Rollenwechsel – bis einem die Puzzleteile der Story aus der Hand geschlagen werden. Acht junge Spieler stemmen 20 Rollen, und man ist den Abend über hauptsächlich damit beschäftigt zu entschlüsseln, in welchem Kostüm nun gerade welche Figur steckt: Filip, Miguel, Anton, Silas, Inka, Linda, Camilla, Peter, Ludvig, Susanne, Christer, Diana, Åsa, Lennart, Stefan, Helena, Pia, Lotti, Ursula, Nina – wie war das gleich noch mal??
Auf der leeren Bühne der Reithalle, der kleinen Spielstätte, dienen durchsichtige Vorhänge als Raumteiler oder als Projektionsflächen für bunte Lichter und Videos. Auf Bürostühlen rollen die Spieler umher, sie geben alles: eine Lolita, die mit Schmollmund nicht nur ihre blonden Haarsträhnen um den Finger wickelt, der coole Ober-Chabo, der bei Erwachsenen kaum ein Wort rauskriegt, der schmächtige Außenseiter, die versoffene Mutter, der selbstverliebte Trainer-Schönling, der schöngeistige Musiklehrer. Und alle zeigen, was sie drauf haben. Die Mütter und Schülerinnen gackern hysterisch, die Väter, Lehrer, Vorgesetzte toben – von leisen Tönen, von Leid, Scham, Schuld, Verzweiflung kaum eine Spur. Statt die Spieler ruhig durch die Psychen ihrer vielen Figuren zu lotsen, treibt die Regisseurin sie ständig in schrille Tonlagen. Das nutzt sich rasch ab.
Theater, wie man es leider zu oft sieht: Karikaturen, Klamauk, Klischees. Manchmal wünschte man sich, die Bühne hätte das souveräne Selbstbewusstsein des Films. Dort scheut man sich weder vor psychologischer Analyse noch vor realistischem Ton, vor Differenzierung. Es wäre ja schon ein Anfang, müssten Schulmädchen auf der Bühne kein Kaugummi mehr kauen, Sozialpädagoginnen keine Wollröcke tragen und Lehrerinnen keine dicken Brillen.