Foto: „Pride“, Schauspiel Hannover © Jörg Brüggemann, Ostkreuz
Text:Martina Jacobi, am 12. September 2025
Mit Falk Richters „PRIDE“ eröffnet das Schauspiel Hannover unter der neuen Intendanz von Vasco Boenisch die Spielzeit. Die Inszenierung berührt durch persönliche Erzählungen, lebt durch die Abwechslung mit Performance-Einlagen und spielt mit Klischees.
Mit „PRIDE“ als Eröffnungspremiere zur Spielzeit setzt Intendant Vasco Boenisch ein Statement für queeres Theater und die Community. Das Stück von Falk Richter wurde 2021 am Königlichen Dänischen Theater in Kopenhagen uraufgeführt und hatte nun am Schauspiel Hannover seine Deutsche Erstaufführung. Die sich nicht verbessernde Lage für queere Menschen ist allein schon Beleg für die Aktualität und Relevanz des Stücks.
„PRIDE“ zeigt, was der Titel verspricht: Eine Bühne für queere Menschen und Lebensrealitäten, gefeiertes Empowerment und politische Messages. Es ist eine in mehreren Szenen aufgebaute, knapp dreistündige Theater-Performance ohne durchgehende Storyline über persönliche Coming Outs und Beziehungsszenen „queer edition“. Verhandelt wird das Gefühl, einer Minderheit anzugehören, intersektionale Diskriminierung, das Leben in einer binär gedachten Welt, die Prägung durch Gewalterfahrungen und Gefühle von Begehren, Einsamkeit und Altern.
Nahbar durch Persönliches
Eingebettet sind die losen Szenen in aufgebaute Raumparzellen auf einer Drehbühne (Bühne: Wolfgang Menardi). Es sind persönliche Räume, privat eingerichtete Zimmer. Manche Wände bestehen nur aus einer Metallrahmung, andere sind dicht und verspiegelt – eine bildliche Verdeutlichung persönlicher Identitäts- und Grenzwahrnehmungen. Körperlichkeit und deren Schutz und Verletzlichkeit deutet sich in der Requisite an, in einem aufgerissenen Oberkörpermodell, in dem die inneren Organe sichtbar sind. Anderswo steht eine silbern glänzende Ritterrüstung.
v.l.n.r. Michael Lippold, Jonathan Eduardo Brito, Sofia Södergård, Beck Heiberg, Nick Weaver, Shirin Eissa, Leyb Elias. Foto: Jörg Brüggemann, Ostkreuz
Die diverse Gruppe aus vier Schauspieler:innen vom neuen Ensemble des Hauses – Jonathan Eduardo Brito, Leyb Elias, Michael Lippold und Shirin Eissa – und den Gäst:innen Nick Weaver, Beck Heiberg und Sofia Södergård schafft in der knapp dreistündigen Theater-Performance intime und berührende Momente. Abwechselnd auf Englisch und Deutsch teilen sie queere Lebenserfahrungen. Gebrochen und aufgelockert werden diese Sequenzen durch empowernde Song- und Tanzperformances, auf die das Publikum mit spontanem Applaus reagiert.
Gefeierter Spielzeit-Auftakt
Diese Darstellung von Queer, das Anreißen verschiedener Geschehnisse aus Geschichte und Politik, spielt mit Klischees und deren Umdrehung – beispielsweise die Verfolgung queerer Menschen, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland nicht endete, wofür manche Betroffene erst im Jahr 2017 eine Entschädigung erhielten. Oder warum es ein Grund ist, dass sich queere Menschen nicht von Schwarz Rot Gold vertreten fühlen, wenn Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zum CSD keine Regenbogenflagge mehr hissen will. Eine überspitzte Knigge-Darstellung für Frau- und Mann-Sein verdeutlicht: Vorstellung von Frau und Mann sind nicht gleichzusetzen mit dem Ausleben und Aneignen von Männlichkeit und Weiblichkeit.
Das Spiel des Ensembles trägt über die gelungenen Performances und die persönliche Erzählung, gerade wenn die Darstellenden vorne am Bühnenrand sitzen und wie in einer intimen Runde ihre Geschichten erzählen. „Was im Bundestag nicht denkbar wäre, ist hier noch möglich“, heißt es einmal. Die wachsende Angst vor einer anti-queeren Politik und der Relevanz von Theater als Diversitäts-Bühne ist prägender Bestandteil dieser Inszenierung.
Den Anspruch, Queer in allen Spektren und Facetten darzustellen, kann „PRIDE“ nicht erfüllen. Durch das Bedienen und Spielen mit Klischees und einem Diversitätsanspruch hat die Inszenierung auch etwas von einem Lehrstück. Aber dem Publikum scheint das nicht viel auszumachen und so wird der Abend zu einem bejubelten Queer-Wimmelbild und einem gefeierten Spielzeit-Auftakt.