Das Ensemble von „Verrückt nach Trost“ mit André Jung, Ursina Lardi, Devid Striesow und Sebastian Blomberg

Pralles Schauspiel

Thorsten Lensing: Verrückt nach Trost

Theater:Salzburger Festspiele, Premiere:06.08.2022 (UA)Regie:Thorsten Lensing

Eine gigantische Walze steht raumgreifend in der Mitte der weitläufigen Bühne. Devid Striesow und Ursina Lardi liegen bäuchlings auf diesem Ungetüm aus Stahl, simulieren dabei so gekonnt Schwimmbewegungen, sodass man darin eine Welle zu erkennen meint; die sonst leere Bühne (von Gordian Blumenthal und Ramun Capaul) ist demnach ein imaginärer Sandstrand. Willkommen in der fantastischen Theaterwelt von Thorsten Lensing, in der schier alles möglich scheint.

 

Gut gelaune Trauer

Der deutsche Regisseur bringt im Rahmen der Salzburger Festspiele sein erstes eigenhändig verfasstes Stück mit dem Titel „Verrückt nach Trost“ im Mozarteum zur Uraufführung. Wie ein Sommerurlaub beginnt die Inszenierung, leichtfüßig und gutgelaunt, obwohl es doch um Tod und Trauer geht, um die Angst vorm Sterben, die zu einer Angst vor dem Leben wird. Die schweren Themen verhandelt Lensing anhand ungewöhnlicher Begegnungen. Im Lauf der dreieinhalbstündigen Aufführung trifft man etwa auf einen gutmütigen Orang-Utan, einen sprechenden Oktopus und einen empathischen Pflegeroboter.

Thorsten Lensing gehört zu den großen Außenseitern des deutschen Theaterbetriebs. Der 53-Jährige arbeitet fernab des immer schneller produzierenden Stadttheaterbetriebs, lässt sich für seine Unternehmungen viel Zeit und setzt vor allem auf ausgesuchte Bühnenkräfte. In Salzburg treten neben Striesow und Lardi noch André Jung und Sebastian Blomberg in Aktion. Lensing entfacht mit seinem fabelhaften Ensemble ein wild ausuferndes, zugleich präzis abgestimmtes Schauspiel. Wie gekonnt André Jung die Bewegungen eines Orang-Utans nachahmt, so etwas sieht man nicht alle Tage. Das ist zwar äußerst kunstvoll, bleibt aber enigmatisch.

 

Kapriziöse Trilogie

Lensings „Verrückt nach Trost“ besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil versuchen der elfjährige Felix und die zehnjährige Charlotte den plötzlichen Tod der Eltern zu verarbeiten, indem sie Mama und Papa spielen, im Spiel lassen die Waisen gewissermaßen ihre Familie wieder auferstehen. Wie Striesow und Lardi auf offener Bühne in Mimik und Gestik wieder zu Kindern werden, ist ein Erlebnis – so schlicht wie ergreifend. Doch dem Autor Lensing genügt das offenbar noch nicht, er setzt noch eins drauf, indem er die Szene um einen bizarren Traum und eine fragwürdige Episode aus einem Buch erweitert. Dadurch wird das Ganze jedoch etwas kapriziös, verliert an Substanz.

Nach der Pause trifft man im zweiten Teil auf Felix und Charlotte im Alter von 30 Jahren. Felix leidet seit dem Tod seiner Eltern unter körperlicher Fühllosigkeit und kämpft gegen die Einsamkeit an. Striesows Dialog mit André Jung, der seinen Geliebten darstellt, gehört zu den gelungensten Momenten der Aufführung, aber weist zugleich auf die Begrenztheit des Textes hin. Mitunter hört sich das alles eher wie eine Aphorismen-Sammlung an, nicht wie ein lebendiges Gespräch. Ein Beispiel: „Ich habe meine Gefühle immer versteckt und jetzt finde ich sie nicht mehr.“

Im dritten Teil feiert Charlotte ihren 88. Geburtstag, André Jung verkörpert den Pflegeroboter, der der Greisin jeden Wunsch von den Augen abliest. Ein versöhnliches Ende für einen Theaterabend, der einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Wäre „Verrückt nach Trost“ ein Fußballmatch stünde es 1:0, ein Tor für die Schauspieler, keins für den Text.

 

Service: „Verrückt nach Trost“ ist eine Koproduktion der Salzburger Festspiele und ist u. a. noch zu sehen in: Sophiensäle Berlin, Kampnagel Hamburg, Theater Chur, asphalt Festival Düsseldorf, Theater im Pumpenhaus Münster, Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main.