Foto: Chor und Ensemble der Oper Wuppertal in "Tannhäuser" © Bettina Stöß
Text:Marlene Bärenfänger, am 28. März 2022
Wenn ein junger Shootingstar-Dirigent und ein Opernregie-Newcomer gemeinsam Wagners „Tannhäuser“ auf die Bühne bringen – und dazu noch drei Rollendebüts gefeiert werden, stellt sich im selben Atemzug die Frage: Kann das gelingen?
Nachdem die Premiere krankheitsbedingt bereits zweimal verschoben werden musste, bringt die Oper Wuppertal erstmals seit sieben Jahren eine Wagner-Premiere auf die Bühne. Dies bleibt in Pandemie-Zeiten ein besonderes Unterfangen, wenn die hohe Anzahl der Beteiligten endlich wieder auf ein ergreifendes Opernerlebnis hoffen lassen. Mit Wagners „Tannhäuser“ inszeniert der preisgekrönte Regisseur Nuran David Çalis zum ersten Mal eine abendfüllende Oper – nicht nur in Wuppertal, sondern überhaupt. Wagner-Bekanntschaft hat er zwar im Gepäck: Bei den Nibelungenfestspielen in Worms beschäftige sich Çalis erstmals 2016 mit der „Götterdämmerung“. Bei seiner Wuppertaler-Inszenierung hat ihm dies jedoch nur bedingt geholfen.
Tannhäuser im Rotlichtmilieu
Çalis liest den „Tannhäuser“-Stoff politisch und verlagert die höfische Wartburg-Gesellschaft in ein Szene-Milieu, wie es sich heute um das Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg, im Hamburger Stadtteil St. Georg oder in Kölns Keupstraße abspielen könnte. Auf der Bühne, gestaltet von Anna Ehrlich, ist die bildungsbürgerliche Wagner-Welt beschränkt auf einen Straßenzug, eingerahmt von zwei Häuserblocks mit roten Leuchtschriften, in dessen Hinterhof sich der Venusberg als „Venus Club“ versteckt.
Drei Kameras greifen mit Live-Projektionen vielschichtige Perspektiven auf und richten den Blick auf Details im Geschehen – dies gelingt rein technisch mal mehr, mal weniger gut. Auf runden Podesten tummeln sich im 1. Akt allerhand anrüchige Gestalten und der tätowierte Obermacker Tannhäuser vergnügt sich mit Venus, die im aufreizend knappem Lack-Leder-Outfit (Kostüme: Anna Sünkel) jedoch weniger verführerisch, eher billig wirkt, dass sich koksend und saufend begatten lässt und wie ein Klammeraffe versucht, Tannhäuser von sich zu überzeugen.
Im 2. Akt verortet Çalis den „Sängerkrieg“ und Wolframs „deutsches Land“ in ein divers-buntes Straßenfest, das Elisabeth als Aktivistin vorbereitet hat. Was szenisch im 1. Akt noch funktionierte, beginnt mit dem Sänger-Wettstreit zu bröckeln: Während Wolfram einem Minnesänger gleich über Deutschland singt und der Chor Regenbogenflaggen, Peace-Zeichen und „Fighting for Climate“-Fahnen schwingt, erscheinen Walter als K-Pop-Boy mit Glitzer-Mikro und Biterolf als Punkrocker im schwarzen Tanktop wenig glaubhaft zu den aus dem Orchestergraben erklingenden, zarten Harfentöne.
Seine politischen Botschaften und Statements gegen Rechts vermittelt Çalis dennoch eindeutig: Mit Hashtags wie „Birlikte – Zusammenstehen“ und „say their names“, die auf den Nagelbombenanschlag von 2004 in Köln anspielen sowie aus jüngstem Anlass mit Ukraine-Flagge und Friedenssymbolen. Auf den Bildschirmen läuft dazu im „wartHD-TV“ die Berichterstattung zum Straßenfest und im Lauftext lesen wir die Frage: „Wie wollen wir unser Zusammenleben gestalten?“. Dessen unmissverständliche Antwort folgt sogleich: „Durch Dialog aller in einer Stadtgesellschaft“. Offen bleibt, was wir heute unter einer „deutschen Gesellschaft“ verstehen und, ob unsere Gegenwart schon mehr mit der Realität zu tun hat, als wir wahrhaben wollen.
Eine veränderte Welt erscheint im 3. Akt: Der Straßenzug ist düster, kalt, verlassen. Die Leuchtschriften sind beschädigt. Es liegen Abfälle in den Ecken und Elisabeth wärmt sich – in eine Decke gewickelt – an einer Feuerstelle. Von der lebensfrohen Aktivistin mit Idealen und Kampfgeist ist nichts mehr übrig. Szenisch auf ein Minimum reduziert, liegt der Fokus auf den Figuren und ihren inneren Konflikten. Während das Bühnengeschehen blass und etwas langatmig bleibt, kommt dies der Qualität der Musik zu Gute und gibt den Sängerinnen und Sängern genügend Raum, um die musikalisch anspruchsvollen Partien zu meistern.
Musikalische Höchstleistung
Patrick Hahn, seit dieser Spielzeit Generalmusikdirektor an der Oper Wuppertal und mit gerade einmal 26 Jahren (!) jüngster GMD im deutschsprachigen Raum, gelingt es im 3. Akt (nach ein wenig Eingewöhnung zu Beginn der Oper) das grandios spielende Orchester, sauber intoniert und facettenreich begleitend, klanglich auf die Spitze zu führen. Ein ums andere Mal verzaubert der gewaltige Orchesterklang und die Instrumental-Soli ebenso wie das Ensemble auf der Bühne.
Allen voran Julie Adams als Frauen-Power-Aktivistin Elisabeth, die stimmlich brillant, feinfühlig und ausdrucksstark beeindruckt. Ebenso erstklassig überzeugt Norbert Ernst, der als international gefragter Wagner-Tenor erneut Gast an der Oper Wuppertal ist und erstmals die Titelpartie des Tannhäusers singt – wenngleich ihm gegen Ende des zweiten Aktes die Ansprüche der Partie vereinzelt anzumerken sind.
Simon Stricker, der kürzlich als Papageno glänzte, gibt sein gelungenes Rollendebüt als charakterstarker Wolfram von Eschenbach und punktet mit toller Bühnenpräsenz und mimischen Schauspiel. Als aufreizende Venus, aber wenig erotisch, singt Allison Cook ihr Rollendebüt. Solide ist auch Guido Jentjens, der bereits bei den Bayreuther Festspielen den Landgraf Hermann interpretierte. Auch die Ensemble-Mitglieder Sangmin Jeon als Walther, Sebastian Campione als Biterolf und Timothy Edlin als Reinmar sowie der kurzfristig eingesprungene John Heuzenroeder als Heinrich können mit der erstklassigen Gast-Besetzung mithalten und gesanglich mehr als überzeugen.
Was Çalis‘ fehlende szenische Einfälle vermissen lassen, gleicht ein auf höchstem Niveau spielendes Orchester aus: Mit Wagners „Tannhäuser“ hat Patrick Hahn einen gebürtigen Opern-Einstand dirigiert, den das begeisterte Publikum verdient mit Standing Ovations feiert. Szenisch mau, aber musikalisch wow!