Ensembleszene aus „Anthologie“ von Jacopo Godani

Perfektion!

Jacopo Godani: Anthologie

Theater:Dresden Frankfurt Dance Company/Schauspiel Frankfurt, Premiere:01.12.2022Komponist(in):48Nord u.a.

Es stimmt einfach alles zum Sieben-Jahre-Jubiläum der Dresden Frankfurt Dance Company mit „Anthologie“. Erstmals tritt die Kompanie im Schauspiel Frankfurt auf und wird dieses Programm noch im Dezember mit acht Vorstellungen im Festspielhaus Hellerau präsentieren. Jacopo Godani, dessen Ära 2023 enden wird, feiert mit einer Auswahl seiner Kreationen – wie stets asymmetrisch, zackig und überwiegend rastlos. Das Publikum im ausverkauften Zuschauerraum erhält nur selten Gelegenheit zum Zwischenapplaus – und schon geht es weiter mit elf Appetizern aus dem laufenden Repertoire oder Höhepunkten der letzten Jahre.

Immer etwas kühl

Auf der schwarz ausgehängten Bühne meißelt das Licht im leeren, schwarz ausgehängten Einheitsraum des verantwortenden Kompanieleiters mit Videoscreen, Textilien und Light Design zwar die Konturen der Körper herus, lässt die Gesichter allerdings weniger profiliert und individuell erscheinen. Godani hat prachtvolles Menschenmaterial für seine choreografischen Erfindungen. Aber die Atmosphäre bleibt immer etwas kühl.

Das Editorial des Programmheftes beschreibt den Regenerationsprozess, welchen Primaten in sieben Jahren mit einem vollständigen Austausch des Zellmaterials durchlaufen. Die Analogie zum Kompaniekörper und seinem Organismus ist beabsichtigt. Der Übergang von der bis 2015 bestandenen The Forsythe Company zur Dresden Frankfurt Dance Company hat sich nachdrücklich vollzogen. Godanis Tänzerinnen und Tänzer wirken androgyner und fluider als die aus dem Ensemble von William Forsyth. Unter den Knotenfrisuren erscheinen Godanis geschlechtliche Paar-Ordnungen wechselhaft, flüchtig und oft sehr hart durch die asymmetrischen, kantigen Bewegungsfolgen. Diese Kreationen appellieren an den geometrischen Verstand mehr als an die hungernden Sinne.

Virtuose Musiker:innen

Letztere erfahren Nahrung vom Musiker- und Komponistenkollektiv 48Nord und echten Virtuosen für Solo- und Kammermusik. Im Finale aus „High Breed“ sitzt der faszinierende ukrainische Akkordeonist Sergey Sadovoy an der Rampenmitte, während von der Leinwand eine Meereswoge über das Tanzkollektiv hereinbricht. Auf der Leinwand lauern auch ein Gorilla-Lachen und ein menschliches Gesicht ohne Haut, bei dem Muskelbahnen über Backen und Kinn erkennbar sind. Godani überführt sogar den Rhythmus aus dem Starter „Hypercube“ zu Steve Reichs „Clapping Music“ in Bewegung. Das Ensemble steht in vier sich zum Quadrat ergänzenden Linien und klatscht Reichs Entwicklungen vom kollektiven Unisono in die partiellen Synkopen. Es beginnen daraus spezifizierte und gerissene Bewegungen der angewinkelten Knie und spreizenden Ellenbogen. Das geometrische Tempo-Planspiel gerät trotzdem nicht in getanzte Ekstase.

Auch bei „Echoes from a Restless Soul“ ist es der von dem Pianisten Pjotr Naryshkin gespielte Ravel, der wohltemperiert und schmelzend wärmt, nicht aber die Choreografie und die Farben der zwischen knapp und dabei fließend einhüllenden Casuals und Trainingskleidung für die Körper. Hannelore Vander Elst wirft Gitarren-Lyrik in die Bewegungsmaschinerie. Eine Arbeit an der Mimik und damit den Augenfenstern zu den Charakteren findet kaum statt. Ohne eigentlich in die Coolness vorzustoßen, sind die Tänzerkörper wie auf Eis, kommt erst zum Schlussapplaus etwas wie Fröhlichkeit und Freude in die Gesichter. „When the dust settles“ bleibt Behauptung, denn Godani leuchtet jedes Staubkorn weg – die Kompanie wirkt ganz keim- und bakterienfrei. Ebenso prägt sich kaum ein, was schwarzweiß und bunt meint – die Farbe ist vor allem visueller Treibstoff für Bewegung.

„Portrait of an Artist“ lautet der Untertitel von „Anthologie“ und lässt außen vor, inwieweit Körper und Geist an der Modellierung der Bewegungserfindungen beteiligt sind – oder an den Transformationsprozessen, welche durch eventuelle Umbesetzungen einsetzen. Nicht umsonst lautet einer der Titel für das gesamte Ensemble „Moto perpetuo“ – ein italienisch subjektives Maskulinum anstelle des abstrahierenden lateinischen Neutrums.

Es folgte „Hollow Bones“. Ausgerechnet jene „hohlen Knochen“ macht Allison McGuire in ihrem Solo-Ausschnitt vergessen. Es ist mit dem atemlosen Jubiläumsauftritt in „Anthologie“ so wie mit dem Corporate Design der Dresden Frankfurt Dance Company. Die Form drängt Inhalt und Aussagen zurück, Großbuchstaben nivellieren die Namen und über allem steckt ein mit Weihrauch-Attributen legitimiertes hohes Selbstbewusstsein. Die Virtuosität der Kompanie ist exzeptionell. Aber sie findet kaum den Weg zu starken Emotionen, welche ohne die Rauschmittel von Tempo, Kühle und vor allem eine schon exhibitionistische Perfektion auskommen. Ovationen aus einem Publikum, welches „Anthologie“ auch als Vorweihnachtstheater für Heranwachsende versteht.