Szene mit Volker Löschs Dresdner Bürgerchor

Pegida-Lehrstück

Max Frisch: Graf Öderland / Wir sind das Volk

Theater:Staatsschauspiel Dresden, Premiere:28.11.2015Regie:Volker Lösch

Dresden ist gespalten. Seit gut einem Jahr halten die wöchentlichen rechtsgerichteten Pegida-Demonstrationen die Stadtgesellschaft im Griff, teilen sie in Pro- und Contralager. Diese an Manichäismus grenzende Grundstimmung greift Volker Lösch in „Graf Öderland / Wir sind das Volk“ auf und nimmt mit Max Frischs Drama in zwölf Bildern das Pegida-Phänomen in den Blick. Was treibt dieses an und warum unternimmt niemand etwas dagegen? Das sind die handlungsanleitenden Fragen seines einnehmenden Stücks politischen, freilich nicht revolutionären Theaters. Vorführen, belehren, sich selbst vergewissern lautet der Dreiklang des Abends, der für Dresdner Bürgerschaftsverhältnisse ziemlich mutig ist.

Die Moritat vom Grafen Öderland, dem im Alltag gelangweilten Staatsanwalt, der als Rebel without Cause mit marodierenden Axtschwingerhorden die Machtprobe stellt, bildet dabei das inhaltliche Gerüst. Lösch parallelisiert Frischs Motivreigen – jede Szene sieht sich mit auf jeweils ein Element fokussiertem Bühnenbild minimalistisch und doch bildgewaltig an – mit Texten von Pegida-Teilnehmern und -rednern. Dazu greift er auf den Dresdner Bürgerchor zurück, den er schon 2005 für seine Dresdner „Weber“-Inszenierung auftreten ließ. Immer wieder schieben sich die 27 Männer und Frauen nach vorn, formieren sich zu verschiedenen Gruppenkonstellationen und geben einen konzentrierten, wuchtigen Vortrag. Inhaltlich steigert er sich von Klagen über Hartz-IV, empfundene Übervorteilung durch Westdeutsche und Selbstmitleid zu Rassismus, Homophobie und Gewaltfantasien. Das dokumentiert die tatsächliche Pegida-Radikalisierung, fügt sich aber auch zu einer dramaturgisch geschickten Zuspitzung, die den anschwellenden Bocksgesang des Grafen Öderland spiegelt. Unterstrichen wird dies zusätzlich durch das zunehmende komische, ja kabarettistische Spiel der Darsteller, das sich zur Farce inklusive Merkel-Parodie entwickelt. Auf allen Ebenen steuert die Dramaturgie dem Ausnahmezustand entgegen. Wobei der Chor insgesamt die weniger starke Figur ist. Er ist ein wesentliches Mittel für die Kollektivierung von Hass und Ressentiment, den zweieinhalbstündigen Abend tragen jedoch die Schauspieler.

Mehr und mehr wird das Publikum direkt involviert und unmittelbar einbezogen. Hierzu fallen einige Spieler vorm heruntergelassenen Vorhang aus ihren Rollen zur Zuschaueransprache, schildern ihre persönlichen Erfahrungen im gegenwärtigen Dresden, ihre Meinung über Pegida. Schauspielstudentin Andrea Weis will nur noch die Ausbildung abschließen, dann Reißaus nehmen. Antje Trautmann hält einen eindrücklich-anklagenden Monolog über das allumfassende Schweigen, das Nichtaufstehen und das Versagen der sächsischen CDU-Landespolitik. Das führt zu zahleichen Szenenapplausen, wobei dem Publikum angeraten wird, nicht zu klatschen, sondern montags lieber zur Gegendemo zu gehen. Zum Schluss hin steigern sich Ben Daniel Jöhnk – schon als Graf ein viriler Charismatiker – und Lea Ruckpaul zu einem absurd wirkenden Rededuett. Pegida sei das eigentliche Opfer eines „faschistischen“ BRD-Systems, das das Land durch „ausländische Invasoren“ vernichtet, ist da zum Beispiel zu hören. Wie sich Ruckpaul gestisch grotesk mit immer sexualisierter werdender Energie gegen „Gender-Wahnsinn“ und „überzogenen Sexualscheiß“ in die Hysterie geifert, ist großartig gespielt. Wenn man nicht wüsste, dass das alles Redefragmente der in Wahrheit noch vulgärer auftretenden Pegida-Galionsfiguren Lutz Bachmann und Tatjana Festerling sind, wäre das feinstes Kabarett.

Gut gebaut und toll gespielt, bleibt vom Abend der Charakter eines Lehrstücks zurück, das die Mühen knallharter Agitation mit Leichtigkeit nimmt. Hier muss keiner erst überzeugt werden. Der Saal feiert sich – und zu Recht Regie und Schauspieler – in der Selbstvergewisserung, dass es noch Widerspruch gibt. Pegida selbst wird man damit nicht erreichen. In Zeiten aber, wo hier Stadtspitze und residierende Landesregierung zu Aufmärschen und Übergriffen schweigen, ist das unerhört genug. Das Staatsschauspiel positionierte sich als einer von ganz wenigen städtischen Akteuren von Anfang an klar gegen Pegida. Da ist dieses geradlinige Contra-Manifest Volker Löschs als kraftvolle Demonstration des Neins nur konsequent. „Ich will ein Theater, das die Wirklichkeit verunmöglicht“, ruft Antje Trautmann frustriert wütend in den Saal. Hiervon, von einer neuen Form politischen Theaters, war beim perspektivisch etwas aufgefächertem alten Agitprop-Rezept nichts zu erfahren. Vielleicht aber ist es ein Anfang für Dresden, muss die Form auch einmal notwendig dem Inhalt folgen, wenn sich das Theater hier den demokratischen Ort und Akteur nicht nur behaupten will.