Dresden ist gespalten. Seit gut einem Jahr halten die wöchentlichen rechtsgerichteten Pegida-Demonstrationen die Stadtgesellschaft im Griff, teilen sie in Pro- und Contralager. Diese an Manichäismus grenzende Grundstimmung greift Volker Lösch in „Graf Öderland / Wir sind das Volk“ auf und nimmt mit Max Frischs Drama in zwölf Bildern das Pegida-Phänomen in den Blick. Was treibt dieses an und warum unternimmt niemand etwas dagegen? Das sind die handlungsanleitenden Fragen seines einnehmenden Stücks politischen, freilich nicht revolutionären Theaters. Vorführen, belehren, sich selbst vergewissern lautet der Dreiklang des Abends, der für Dresdner Bürgerschaftsverhältnisse ziemlich mutig ist.
Die Moritat vom Grafen Öderland, dem im Alltag gelangweilten Staatsanwalt, der als Rebel without Cause mit marodierenden Axtschwingerhorden die Machtprobe stellt, bildet dabei das inhaltliche Gerüst. Lösch parallelisiert Frischs Motivreigen – jede Szene sieht sich mit auf jeweils ein Element fokussiertem Bühnenbild minimalistisch und doch bildgewaltig an – mit Texten von Pegida-Teilnehmern und -rednern. Dazu greift er auf den Dresdner Bürgerchor zurück, den er schon 2005 für seine Dresdner „Weber“-Inszenierung auftreten ließ. Immer wieder schieben sich die 27 Männer und Frauen nach vorn, formieren sich zu verschiedenen Gruppenkonstellationen und geben einen konzentrierten, wuchtigen Vortrag. Inhaltlich steigert er sich von Klagen über Hartz-IV, empfundene Übervorteilung durch Westdeutsche und Selbstmitleid zu Rassismus, Homophobie und Gewaltfantasien. Das dokumentiert die tatsächliche Pegida-Radikalisierung, fügt sich aber auch zu einer dramaturgisch geschickten Zuspitzung, die den anschwellenden Bocksgesang des Grafen Öderland spiegelt. Unterstrichen wird dies zusätzlich durch das zunehmende komische, ja kabarettistische Spiel der Darsteller, das sich zur Farce inklusive Merkel-Parodie entwickelt. Auf allen Ebenen steuert die Dramaturgie dem Ausnahmezustand entgegen. Wobei der Chor insgesamt die weniger starke Figur ist. Er ist ein wesentliches Mittel für die Kollektivierung von Hass und Ressentiment, den zweieinhalbstündigen Abend tragen jedoch die Schauspieler.