Daniel Scholz, Thomas Klenk und Thomas Nunner im "Menschenfeind" am Staatstheater Nürnberg.

Parodistisch prachtvoll

Molière: Der Menschenfeind

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:15.12.2012Regie:Volker Schmalöer

Nach der Papierform hatten die beiden Produktionen, die das Nürnberger Schauspiel am Wochenende nacheinander vorstellte, gar nichts miteinander zu tun: Auf die deutschsprachige Erstaufführung des Londoner Publikumserfolges von 2011 “Besser Wissen – The Knowledge” folgte der weißnichtwievielte Versuch, Molières “Menschenfeind” beim Swingen zwischen klassischer Komödie und zeitnaher Satire zu fixieren (Schauspielhaus). Überraschend kamen sich die Protagonisten der Stücke auf ihren verlorenen Posten inmitten anders tickender Gesellschaft dann doch sehr nahe: Anna Keil als hitchcockblonde Lehrer mit gespreizten Idealen im Tumult des maroden Bildungssystems und Thomas Nunner wie ein Salon-Saurier der rückhaltlosen Wahrhaftigkeit als Alceste. Und auch die Regisseure Johannes von Matuschka (“Besser Wissen”) und Volker Schmalöer (“Menschenfeind”) sind mit ihrem Revue-Rezept wohl heimliche Brüder im Geiste: Alles so schön bunt hier. Verblüffend, wie unterschiedlich das wirkt. Was in einem Fall als Rettungsaktion für den neuen Text angelegt ist, kann im andern tatsächlich den Blick auf den alten schärfen.

Auf der Vorderbühne für den Molière-Misanthrop wird barocke Kerzen-Pracht simuliert, der schwungvoll gehobene Vorhang enthüllt Bussi-Gesellschaft in Schaufenster-Vitrinen. Die balzenden Herren im Haus der allseits begehrten Célimène (Louisa von Spies gibt eine infam energiegeladene Spaßgesellschafterin) sind allesamt dem Glööckler-Katalog entsprungen und bekennend christbaumschmucktauglich (Kostümbildner Andreas Janczyk griff bis über die Ellbogen in die Wundertüte), während der verbitterte “Sag die Wahrheit”-Apostel Alceste unbehaglich am eigenen Outfit aus Goldbrokat und Locken-Perücke herumfummelt. Thomas Nunner schirmt diesen komischen Kauz geschickt vor der Karikatur ab, indem er die Figur im Flirt-Wettbewerb der Gecken wie einen zur Würdelosigkeit gedrängten Philosophen skizziert, dann aber in milder Tragödien-Fallhöhe in die Einsamkeit der Melancholie führt. Ihn umschwirren Schmetterlinge mit der Präpotenz von Eintagsfliegen. Von Elke Wollmann bis Marco Steeger ist das Ensemble in Topform.

Regisseur Volker Schmalöer kontert den Trend, die Molière-Komödianten in Gegenwarts-Zivil zu stecken und so die Zeitlosigkeit des Stückes zu belegen. Indem er sie parodistisch prachtvoll ausstaffiert, kommt der Text (es ist die angenehm selbstironisch holpernde Reim-Fassung, die einst für Jürgen Goschs legendäre Inszenierung entstand) wie unter Anführungszeichen. Siehe da: Es wirkt phasenweise, als würden ewige Weisheiten in Geschenkpapier verabreicht. Wenn der aufdringliche Freizeit-Dichter Oronte (Thomas Klenk) dem grantelnden Alceste bei der Erstbegegnung die Freundschaft aufdrängt, wirkt das wie ein Fanal gegen die Facebook-Gemeinde. Find ich gut! Zwischendurch, wo Discofieber ausgerufen wird und das Panoptikum der Modepuppen zappelt, rutscht die Sache auch mal ins Alberne. Doch am Ende, das den “Menschenfeind” mit sich im Reinen in der selbstbestimmten Einsamkeit zeigt, möchte man ihm verständnisvoll auf die Schulter klopfen. Besseres als den lebenslangen Maskenball hat er allemal erwischt.