Auch der Dirigent Dietger Holm entgeht den Klischees nicht – er bläst sie vielmehr expressiv auf, indem er Tempo, Lautstärke und musikalischen Duktus ins Extrem treibt. Das klingt teils – abgesehen von einigen rhythmischen Wackeleien – sogar ausgesprochen schön oder dramatisch hochgespannt, aber zu sehr nach großer Oper, wo es Bizet, dem Stil der Opéra comique folgend, eher auf elegante Leichtfüßigkeit, tändelnde Beiläufigkeit, lakonische Zuspitzung anlegt. Auch Mariselle Martínez trägt gern dick auf, ihr farbenreicher, vollklingender Mezzo wirkt dann outriert, effektverliebt, dabei nicht immer klar konturiert. Sogar die leuchtend perlende Hye-Sung Na forciert als Micaëla bisweilen über Gebühr. Angus Wood ist ein José mit viel italienischem Schmelz und heldischer Stabilität, das französisch-Geschmeidige liegt ihm weniger; James Homann gibt einen dunkel-virilen Escamillo mit etwas hohler Tiefe, die Nebenfiguren im großen Ensemble sind rollendeckend besetzt, der von Jan Schweiger einstudierte Chor ist mit bemerkenswerter Prägnanz bei der Sache. Man hört musikalisch und sieht szenisch viel Eindrucksvolles. Zu einer zwingenden „Carmen“-Interpretation aber will sich weder das eine noch das andere fügen.