Im Zentrum steht der 56-jährige Gleiswärter Uli, der die Journalistin Marie vor der Vergewaltigung gerettet und dabei den dunkelhäutigen Täter Munir Bounou erschlagen hat. Sein eingesperrter Sohn Patrick bestärkt ihn, mit seiner Tat der „Bewegung“ zu helfen. Marie deckt auf, dass Uli zuvor einen Pförtnerjob an der Uni verloren hat, weil er den dunkelhäutigen Omar ohrfeigte. Der Gleiswärter verliert schließlich seinen Job und setzt sich mit Silvios Hilfe an den Kopf der „Bewegung“, was wiederum seinen Sohn nervt. Während Ulis Frau Lotte die Familie zu schützen versucht, hadert Marie mit ihrem Opferdasein und gräbt sich immer tiefer in die Entlarvung Ulis hinein, auch um die eigenen Karriere zu befördern. Werner gestaltet seine Hauptfiguren höchst ambivalent, getrieben und zerrieben zwischen Selbstachtung, Geltungssucht, Erniedrigung, Anerkennung, Wut oder Rache.
Das ist nicht Anne Simons Sache, die jede Form psychologischer Eindringlichkeit unterspielt, ausgiebig und trostlos symbolisch mit „Negerküssen“ werfen oder die Schauspieler in der Beerdigungsszene von Munir sich über die Hitze auf der Bühne beklagen lässt. Immerhin entwickelt Martin Olbertz als Uli behutsam ein Charakterbild dieses fast etwas naiven Underdogs. Er stampft bedächtig über die mit Wartebänken, aufgetürmten Rasenmatten und einer fahrbaren Glaskabine möblierten Bühne, ist weit entfernt von ideologischen Steroidgaben. Zum Frontmann der „Bewegung“ wird er nur, weil ihm seine Fähigkeit zum Reden Anerkennung verschafft. Reziprok fühlt sich die Journalistin Marie durch Ulis mörderische Rettungstat immer mehr als nicht verteidigungsfähiges Opfer und als Schuldige. In Nina Schopkas Darstellung werden diese Gefühle mit einer burschikos-sarkastischen Schutzschicht lasiert, die ihren journalistischen Furor auch als Vergeltung erscheinen lassen könnten. Und: Auch ihr winkt die Anerkennung eines besseren Jobs in Dresden. Die Frage der zerbeulten (Selbst-)Achtung zieht sich subkutan durch das ganze Stück. Ulis Streit mit seinem Sohn Patrick um die Führung der rechtsradikalen „Bewegung“ hat deshalb kaum strategische Gründe. Allerdings wirken Dominik Raneburgers cäsarische (Toga-)Posen mit Rasenmatten und seine ironische Überdosierung ziemlich deplatziert.
Je länger der Abend dauert, desto mehr schält sich der Verdacht heraus, dass die Regisseurin dem Stück, seiner Dramaturgie und seinen Figuren nicht vertraut. Mehr noch: Ihnen keine Empathie entgegenbringt. Doch genau darin liegt Lars Werners großes, vielleicht auch verstörendes wie kritisches Verdienst. Doch davon ist diese Uraufführung allzu weit entfernt.