Schlussapotheose mit Ensemble: "End of Act two!"

Ohne Brisanz

Jonathan Dove: Marx in London

Theater:Theater Bonn, Premiere:09.12.2018 (UA)Regie:Jürgen R. WeberMusikalische Leitung:David Parry

Gut gesungen, fantastisch musiziert, toll ausgestattet – „Marx in London“ von Jonathan Dove erweist sich bei seiner Uraufführung am Theater Bonn dennoch nicht als starkes Stück

Die Idee macht neugierig, zumal sie verkaufssteigernd mit einem Anlass verknüpft ist. Eine Musiktheaterproduktion, die einen Tag im Leben einer historischen Persönlichkeit theatralisch gestaltet. Und zwar von Karl Marx – im „Marx-Jahr“ seines 200. Geburtstags. Dazu kommt der Komponist Jonathan Dove, der einerseits schon erfolgreich am Theater Bonn aufgeführt wurde und andererseits langfristig das aktuelle Ensemble des Hauses unter die Lupe nahm, um ihm Partien in die Kehlen zu schreiben. Und die Sängerinnen und Sänger danken es mit formidablen Leistungen, voran Johannes Mertes als heldentenoral auftrumpfender aber auch über ein feines Parlando verfügender Engels und Ceri Williams mit pastosem und dennoch beweglichem Monster-Alt als vom Meister begehrte Haushälterin und Mutter seines ungeborenen Kindes. Im Zentrum natürlich Karl Marx, in Gestalt von Mark Morouse mit überraschend viel, überraschend lyrischer Bariton-Eleganz. Seine Tochter ist die vor Ausdrucksfreude und Sangeslust sprühende Marie Heeschen, seine Frau ist bei Yannick-Muriel Noah eine groß dimensionierte, das Haus mit ihrem Klang flutende Operndiva. Dazu die wunderbar frisch klingenden Tenöre Christian Georg und David Fischer. Was für ein großartiges Ensemble! Und David Parry macht Dampf im Graben, macht die verschiedenen Schichten, aus denen Doves Musik zusammengesetzt ist, transparent und erlebbar durch rhythmische Präzision und eigenständige, musikantische Akzentsetzungen. Und Chor und Beethoven Orchester folgen hingebungsvoll und – offensichtlich – wohlgestimmt.

Auch der Raum von Hank Irwin Kittel überzeugt voll. Bühnenbreite und -hohe Wände irgendwo zwischen Metallskulptur, Hausfassade und Setzkasten. Wagen, die von als ausgemergelte Opfer der Industrialisierung maskierten Statisten bewegt werden, formulieren Spielorte. Die Atmosphäre stimmt. Und die Geschichte, wenn man sie so nennen will, vermittelt sich: Ein Leben zwischen hochfliegenden Gedanken, klarem, analytischem Verstand und Unfähigkeit in lebenspraktischen Dingen, das Porträt eines zugewandten Egozentrikers, eines heiteren Cholerikers, abwechslungsreich und timingsicher präsentiert.

Und doch geht man unzufrieden, fast ärgerlich nachhause. Weil letztlich alle diese Komponenten nicht zu einer tragfähigen, begeisternden Aufführung führen. Unter dem Titel steht „eine Komödie“. Aber es wird kaum gelacht. Und es bleibt einem auch nichts im Halse stecken. Zumindest kein Lachen. Das englischsprachige Libretto von Charles Hart hat durchaus seine Pointen. Aber ihre Dichte könnte höher sein. Und fast alle kommen nicht zum Tragen, weil sie von Jürgen R. Webers über weite Strecken handwerklich sauberer Inszenierung in wurschtigen Ausritten, etwa auf der mannshohen Pistole, gestisch verdoppelt werden. Oder weil die Musik sie mit ihrer breit ausschwingenden Komplexität erdrückt. Dove Musik sich einerseits kundig in der britischen Musikgeschichte. Chorsätze und Solophrasen suchen etwa schon mal die Nähe zu Benjamin Britten (besonders zu „Peter Grimes“). Dazu kommt große Oper, besonders für Jenny Marx und viel klassisches, britisch und us-amerikanisch grundiertes Unterhaltungsmusiktheater. Das ist nicht schlimm, wird aber durch sägende, an die Minimal Music erinnernde, ständig wiederholte rhythmische Kleinmotive unterfüttert und nicht selten verhüllt.

Das alles wäre lässlich. Die Abwesenheit von inhaltlicher Substanz ist es nicht. Es sei ihm um eine Themensetzung von „politischer Brisanz“ gegangen, äußerte Regisseur und Ideengeber Jürgen R. Weber im Vorfeld. Von dieser ist nichts zu spüren. Sie verliert sich im Klischee. Dabei steht nicht im Vordergrund, dass Karl Marx‘ Ehefrau Jenny ihm Kampfgefährtin, Unterstützerin und häufig auch Beschützerin war und kein leidendes, materialistisches und trunksüchtiges Wrack und dass Friedrich Engels bis zu seinem Tod als Vater von Marx‘ unehelichem Sohn ausgab, statt ihn, wie im Stück, zu „denunzieren“. Es wird sich auch mit Marx‘ Gedanken und Äußerungen allenfalls in oberflächlicher Verzerrung befasst. Und das Ende, der alle miteinander versöhnende Blick auf das abendliche London, ist in seinem bekennenden, vom Regisseur arg schüchtern ironisierten Bekenntnis zum Brachialkitsch als Kunstform zumindest für viele Menschen schwer zu ertragen. Trotz eines wirklich witzigen Schlussverses.