Im Genre der Pop-Musik würde man das Kunstwerk ein Mashup oder einen Bastard-Mix nennen, denn Löhle hat nur noch Krümel des Originaltextes verwendet, hat Irvings andere bekannte Erzählung „Rip van Winkle“ integriert und hat sich viele Ideen und viel Personal aus der Horror-Verfilmung von Tim Burton (1999) – damals mit Johnny Depp in der Hauptrolle – entliehen. Das Ganze wurde mit sehr heutigen Dialogen garniert, die uns möglicherweise auch zu der Frage führen könnten: Wie hätten die Bewohner von Sleepy Hollow bei der soeben beendeten US-Wahl entschieden?
Eine Legende vom Hudson River
Denn Sleepy Hollow ist eine sehr abgelegene Gegend am Hudson River, deren von holländischen Einwohnern abstammende Bevölkerung in einem beständigen Traum umherwandelt und allen Arten von Wunderglauben erlegen ist. Sie erzählen sich die Sage vom hessischen Reiter ohne Kopf, der immer wieder um Mitternacht von seinem Grab zum Schlachtfeld reitet, um seinen abgeschlagenen Kopf zu suchen. Das erinnert stark an Theodor Storms Nordsee-Novelle „Der Schimmelreiter“ (1888) mit ähnlicher Motivik und ähnlicher Personenkonstellation.
In die rückständige Provinz bei New York kommt der neue Schulmeister Ichabod Crane (Maximilian Pulst in einer Glanzrolle), der den Menschen vermitteln will, dass Wissen Macht ist, und daher alle Menschen über fundiertes Wissen verfügen sollten. Die Einheimischen bekennen sich aber zu einer gewissen Bauernschläue, gepaart mit solidem Aberglauben und offenherzigem Bekenntnis zur eigenen Dummheit. Die Erde ist für sie noch eine Scheibe, und 2 + 2 kann 4, aber auch 5 ergeben!
Besetzungs-Gag
Als treffenden Besetzungs-Gag darf man notieren, dass viermal Vater/Mutter und Sohn/Tochter von denselben Schauspielern dargestellt werden (Amadeus Köhli, Elina Schkolnik, Sascha Tuxhorn, Pola Jane O’Mara). Nur im Hintergrund erahnt man den bei Washington Irving bestimmenden Dreieckskonflikt zwischen dem Schulmeister und dem bäuerlichen Jungspund Brom Bones, die beide um die (vor allem erbtechnisch) attraktive Katrina van Tassel werben.
Anette Hachmann hat für die Produktion zwei starke Bilder auf die schattige Bühne montiert: vor der Pause eine leicht schiefe Blockhütte, in der der neue Lehrer leben und unterrichten soll. In diesem Raum aber zittern Hirschgeweihe, öffnen sich unvermittelt Fenster und Türen, recken sich Arme aus dem Boden und rundherum dröhnt die dunkle Außenwelt (Sounddesign von Thomas Esser). Nach der Pause sehen wir einen schwebenden Baum, dessen Wurzeln sich wie Fangarme einer Riesentarantel ausbreiten. Unter dem Baum befindet sich das Grab des ebenfalls kopflosen früheren Schulmeisters.
Christian Brey, der im Team mit Löhle die musikalische Komödie „Orbit – Geschichte einer Band“ in Nürnberg zum Publikumsrenner machte, will mit seinem übergreifenden Regieansatz das Gruselkabinett mit dem Nonsense-Slapstick vereinen – sozusagen eine „Spooky Horror Picture Show“ und „Das Leben des Ichabod Crane“ in einem Waschgang durchschleudern. Das funktioniert aber nur bedingt, denn die beiden Genres neutralisieren sich gegenseitig. Für das Publikum – geblendet von vielen unvermitteltem Stroboskop-Breaks – ist es schwierig, ständig zwischen Schrecken und Schenkelklopfen zu wechseln, Horror und Heiterkeit gleichzeitig aufzunehmen. Somit muss sich das Fazit irgendwo zwischen nice und nervig einpendeln.