Aufführungsfoto von „Die Nibelungen – Rang und Drang“ von Marcel Luxinger und Ivana Sokola. Die Bühne ist in rotes Licht und Nebel getaucht.

Rich Kids auf dem Ponyhof

Marcel Luxinger und Ivana Sokola: Die Nibelungen - Rang und Drang

Theater:Stadttheater Ingolstadt, Premiere:10.10.2025 (UA)Regie:Gustav Rueb

Das Stadttheater Ingolstadt eröffnet die Spielzeit mit dem Auftragswerk „Die Nibelungen – Rang und Drang“ von Marcel Luxinger und Ivana Sokola, inszeniert von Gustav Rueb. Die Autor:innen verlegen den Stoff in die Weimarer Republik, wollen viel, verheddern sich aber zum Finale hin im eigenen Anspruch.

Die Nibelungen-Sage hat allerlei zu bieten. Neben wilden Geschichten von Drachen und Tarnkappen auch jede Menge zwischenmenschliche Eskalationen. Da gibt es Machtkämpfe, es wird vergewaltigt und hinterrücks gemordet. Das Stadttheater Ingolstadt hat die Spielzeit nun mit einer Überschreibung oder eher Neuschreibung des Stoffs eröffnet: Die Autor:innen Marcel Luxinger und Ivana Sokola haben das Auftragswerk „Die Nibelungen – Rang und Drang“ geschrieben, inszeniert hat Gustav Rueb.

Nachdem der Nibelungenspielclub vor Vorstellungsbeginn im Foyer charmant-chaotisch die Sage samt Schatz und Bad im Drachenblut angeteasert hat, beginnt auf der großen Bühne deren Fortschreibung. Luxinger und Sokola verlegen die Handlung, von der sie eher Figuren, Grundideen und -themen als ganze Handlungsstränge übernehmen, in die Weimarer Republik. Aus dem Wormser Hof ist ein Pferdegestüt geworden.

Doch das Leben auf Gut Lindenhof ist kein Ponyhof: Die Geschwister Günther, Krimi und Paul leben nach dem Tod ihrer Eltern ziellos und latent deprimiert vor sich hin, nur mäßig unterstützt von ihrem Onkel Hagen von Tronje, der sich die Zeit mit Telefonscherzen vertreibt. Er findet es witzig, sich als Reichslotterie auszugeben und arglosen Mitmenschen zu erzählen, sie hätten das große Los gezogen. Jan Gebauer spielt einen, der sich am Vergangenen festklammert und der Gegenwart nichts als Zynismus abgewinnen kann. Bühnenbildner Florian Barth hat eine in die Jahre gekommene feudal-holzvertäfelte Wohnlandschaft entworfen, die in ihrer leblosen Tristesse wunderbar zu dieser desolat-ziellos vor sich hinvegetierenden Gesellschaft passt.

Ohne Werte und Ziele

Die Zwillinge Paul und Krimi vertreiben sich ihre Zeit mit Wagner-Opern und ihrer inzestuösen Liebe. Eine ganz bewusste Anspielung übrigens auf Thomas Manns Wagner-Persiflage „Wälsungenblut“ – und ein Hinweis darauf, wie viel die Autor:innen wollen. (Möglicherweise zu viel, doch dazu später.) Edda Wiersch und Sebastian Kremkow spielen die Zwillinge infantil-naiv, aber mit unbedingtem Standesbewusstsein und Drang zum Künstlerischen. Sie „orgelt“ wunderbar talentlos vor sich hin; er wäre gern ein berühmter Maler, hat aber wenig Talent zum Expressiven. Vor allem sind sie zwei Rich Kids ohne Werte und Ziele. Ihr Bruder Günther dagegen ist längst der Depression verfallen, versteht weder die Zeit noch seinen Sinn im Leben. Peter Rahmani hängt wie ein aus der Mode gekommenes Einrichtungsstück auf dem Sofa und blickt mit leeren Augen um sich – die Mensch gewordene Resignation.

Aufführungsfoto von „Die Nibelungen – Rang und Drang“ von Marcel Luxinger und Ivana Sokola. Ein Mann sitzt auf dem Boden, eine Leinwand in der linken Hand, wirft er ein von der Leinwand zerrissenes Stück Papier von sich. Vor ihm ein umgefallender Farbeimer.

Sebastian Kremkow als Paul, der ein berühmter Maler sein möchte. Foto: Hannes Rohrer

In dieses Setting brechen nun die Dokumentarfilmer:innen Viktor und Sabrina ein, die „die Folgen von Krieg und Krise für Land und Menschen“ porträtieren wollen. (Man darf und soll bei den beiden an Fritz Lang und Thea von Harbou denken.) Berna Celebi zeigt Sabrina als die womöglich einzige Figur, die ein klares Ziel vor Augen hat und etwas will: diese Zeit dokumentieren und die Menschen in ihr. Der Viktor von Matthias Gärtner dagegen interessiert sich schnell weniger für den Film als für die schöne Krimi, vor allem aber für die Chance auf Reichtum und Macht, die er in dieser Umgebung wittert.

Konfuse Eskalation

Wie im Original geht es also schnell um Begehren und die Gewalt des Stärkeren. Hier wie dort werden Intrigen gesponnen, wird manipuliert und unterworfen. Vor dem Hintergrund einer fragilen politischen Lage greifen die Skrupellosesten nach der Macht. Es entsteht das eindrückliche Bild einer Zeit des Umbruchs und der Ungewissheit, zwischen Klamauk und bitterem Ernst liegt oft nur eine Sekunde.

Auf der Bühne entsteht eine bedrückende Atmosphäre, die in vielem an unsere Zeit erinnert: Alles steht vor mehr als einem gefährlichen Kipppunkt, die Sicherheit ist eine permanent gefährdete, die Ruhe eine trügerische. Doch leider verheddern sich Autor:innen wie Regie in zu vielen Bezügen und Assoziationen und verlieren dabei den Kern aus den Augen. Die anfangs dichte Darstellung einer Zeit, die genau 100 Jahre her ist und der unseren in ihrer Unsicherheit und dem Erstarken radikaler Positionen beängstigend ähnelt, verliert sich in einer leicht konfusen Eskalation. Einiges zieht sich unnötig in die Länge, während anderswo Erzählstränge einfach fallengelassen werden.

Wo in der Sage die unbesiegbare Brünhild brutal von Siegfried und Gunther in gemeinsamer feiger Aktion vergewaltigt und unterworfen wird, bleibt dieses Verbrechen hier merkwürdig vage. Viktor wird anschließend in einer unterhaltsamen, aber nicht ganz schlüssigen filmischen Traum-Szene in einem U-Boot von Günther und den anderen ermordet. Alles steht auf einmal nebeneinander, verbindet sich nicht mehr wirklich. Plötzlich und merkwürdig abstrakt rechnen die Frauen mit den Männern ab. Das Konkrete wird ins Abstrakte gehoben und verliert an Kraft. Und das ist schade. Denn wenn die beiden, Krimi und Sabrina, sich am Ende Popcorn-essend verschwestern, ist das eigentlich ein schöner, ein leise optimistischer Moment.